Die WZ öffnet Türen Wo früher Wache geschoben wurde

Das Wachhäuschen am Donkwall ist das letzte seiner Art in der Kempener Stadtmauer.

Kempen. „Mama, wer wohnt da? Clara sagt, da wohnt der Nikolaus.“ Auch so können Recherchen beginnen. Wie gut, dass die WZ im Advent Türen öffnet und die Frage des dreijährigen Johann beantwortet werden kann, die ihm bei einer Fahrt entlang der Stadtmauer am Donkwall in den Sinn kam.

Die WZ öffnet Türen: Wo früher Wache geschoben wurde
Foto: Friedhelm Reimann

Was ist das für ein Häuschen, dessen dunkelbraunes Holztor mit einem Bügelschloss gesichert ist? Den Schlüssel dazu bringt Gudrun Holzmann, die im Hochbauamt für die historischen Gebäude der Stadt Kempen zuständig ist, an diesem verschneiten Vormittag mit. Schon bei der Verabredung zum Termin versucht sie, zu hohe Erwartungen zu dämpfen. Das ehemalige Wachhäuschen ist heute ein Lagerraum. In dem nur rund zwei mal zwei Meter großen Räumchen lagern Feldbrandsteine, die einst zur Stadtmauer gehörten und die — wenn sie gebraucht werden und passen — dort wieder eingebaut werden.

Adventsserie: Die WZ öffnet Türen

Zuletzt wurde am Donkwall ein Teil der Stadtmauer neu errichtet — allerdings mit einer größeren Menge an Feldbrandsteinen, die bei Baustoffhändlern, der auf historisch Materialien spezialisiert sind, erworben wurde. 2006 war dort das Haus Sturm, eines der letzten seiner Art mitten im Grüngürtel, abgerissen worden. An der Stelle der Rückwand des Hauses wurde eine neue Mauer gebaut. „Gemauert wurde im Kreuzverband. Handwerklich korrekt, aber nicht historisierend“, erklärt Gudrun Holzmann. So arbeiten Restauratoren heute.

Das Häuschen hat ein mit Schiefer gedecktes Dach, das obere Geschoss ist mit einem sogenannten deutschen Fries abgesetzt. Dabei ragen die Ecken der Steine heraus.

Es ist das letzte von 14 Wachhäuschen, die es früher in der rund zwei Kilometer langen Stadtmauer gegeben hat. Die erste Mauer rund um die Altstadt wurde im 14. Jahrhundert gebaut und war zwischenzeitig bis zu sieben Meter hoch. Übrigens, so weiß Gudrun Holzmann zu berichten, zahlten für die Stadtmauer Wirte oder Handwerker mit ihren Strafen, wenn sie sich nicht richtig zu benehmen wussten. Engertor, Petertor, Ellentor und Kuhtor boten die Zugänge zur Stadt. Ursprünglich waren die Wachtürmchen in Form eines Halbkreises angelegt, der aus der Mauer hervorragte. Wann dies Häuschen in der heutigen Form gebaut wurde, kann man nicht mehr sagen.

Die Stadtmauer musste einiges über sich ergehen lassen. Als die Hessen die Stadt belagerten, wurde sie 1642 am heutigen Hessenring durchbrochen. Zwischen 1773 und 1776 war sie so baufällig, dass sie abgebrochen und durch eine kleinere Mauer ersetzt wurde.

Mit den Trümmern füllte man den inneren Stadtgraben auf. So entstanden Grundstücke, die der Rat als Obst- und Gemüsegärten an die Bürger versteigerte. So ist dann auch ein anderes Häuschen zu erklären, das am Möhlenwall heute noch einen Teil der Stadtmauer bildet. Abgewehrt wurde von dort allerhöchstens „Angriffe“ von Maulwürfen oder Vögeln, die sich über die leckeren Früchte hermachen wollten. Denn in früheren Zeiten bauten sich wohlhabende Besitzer an ihren „Schrebergärten“ entlang der Stadtmauer so genannte „Lusthäuser“ — so wie das am Möhlenwall. Früher saßen die Herrschaften nach getaner Arbeit im ersten Stock, konnten dort aus dem Fenster schauen und bei Kaffee und Kuchen das geleistete Werk betrachten. Heute sind die Fenster nur noch Dekoration. Das Erdgeschoss wird wie in früheren Zeiten als Abstellfläche genutzt.

Im Jahr 2014 ist das Häuschen wieder frisch gemacht worden. Es wurde von zu viel Grün befreit und erhielt einen neuen Anstrich. Seitdem ist es wieder ein echter Hingucker im Grüngürtel.

Die Stadtmauer und ihre Anbauten beschäftigen die zuständigen Stadtmitarbeiter immer wieder. „Wir arbeiten mit dem Grünflächenamt zusammen. Jedes Jahr nehmen wir uns einen Teilbereich vor“, erklärt Gudrun Holzmann. Man versucht, eine gute Mischung zu finden zwischen Grün und Gebäuden, die auch zur Geltung kommen sollen.

Zurück ins Wachhäuschen: Heute ist der Raum von innen verputzt, eine Betondecke schließt den oberen Teil ab. Man kann es sich nur noch schwerlich in die Zeiten zurückversetzen, in denen Kempener an dieser Stelle, vielleicht über eine Leiter, nach oben stiegen, um an den Schießscharten Platz zu nehmen, nach Angreifern Ausschau zu halten und über das Wohl ihrer Familien und Nachbarn zu wachen. Auch wenn sich einem der Sinn einer Stadtmauer in Zeiten, in denen Betonpoller an den Einfallstraßen zur Stadt aufgestellt werden, um für die Sicherheit der Menschen zu sorgen, wieder ein wenig mehr zu erschließt. Auch die drei Fenster im oberen Bereich sind mit Holzläden gut verschlossen, damit sich dort niemand unberechtigt einquartiert.

Die Tür schließt sich wieder. Vom Nikolaus gab es übrigens keine Spur zu sehen. Bleibt eigentlich nur eine Frage offen: Was erzähle ich jetzt meinem Sohn?

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