Winterbräuche in Bild und Ton

Im Grefrather Freilichtmuseum hat heute ein Film über das Brauchtum am Niederrhein Premiere. Weihnachten ist eines der Themen.

Winterbräuche in Bild und Ton
Foto: Friedhelm Reimann

Grefrath. Kevin Gröwig muss es — wie man am Niederrhein sagt — gut können mit seiner Schwiegermutter Gundel. Denn das, was sie dem kommissarischen Leiter des Niederrheinischen Freilichtmuseums im Dezember 2014 erlaubt hat, ist in der Familie seiner Ehefrau Ilka in Neukirchen-Vluyn eigentlich „strengstens verboten“: das Weihnachtszimmer mit dem geschmückten Tannenbaum und der gedeckten Tafel zum Fest vor dem Heiligen Abend zu sehen.

Vor elf Monaten durften Kevin Gröwig und ein Kameramann zwei Tage vor dem Fest ausnahmsweise und von Berufswegen zusehen und zuhören, wie Ehefrau und Schwiegermutter den Baum schmückten, dabei über Mandarinen, Lebkuchen, Theaterstücke, den festen Glauben ans Christkind und das Ritual des Geschenke-Auspackens plauderten. Von dem Fünf-Stunden-Dreh daheim sind sechs warmherzige Minuten in einen Film geflossen, der Winterbräuche am Niederrhein authentisch dokumentiert.

Es sind sechs von fast 30 Minuten, die außerdem St. Martin in Dülken, dem Heiligen Nikolaus in Mönchengladbach-Hardt, dem Silvesterfest mit Milchkannenböllern und den Heiligen Drei Königen Caspar, Melchior und Balthasar in Grefrath gewidmet sind. Entstanden ist damit quasi eine neue Ausstellung mit bewegten Bildern und unterhaltsamen O-Tönen, die in dem passend dekorierten Eingangsgebäude des Museums bald bequem vom Stuhl aus angeschaut werden kann. In dem Vorführraum wird der Film ab morgen zu den Öffnungszeiten des Museums in einer Endlosschleife gezeigt — bis Karneval 2016 die kalten Tage vergessen macht.

„Ein festes Drehbuch hatten wir nicht“, sagt Gröwig. Der Kalender, die Winterbräuche hätten die Struktur vorgegeben. „Wir haben uns treiben lassen und die Leute, die wir besucht, gefilmt und interviewt haben, machen lassen.“ Dabei sei so viel Filmmaterial zusammengekommen, dass „wir den Herrn der Ringe in dreifacher Ausführung hätten senden könnten“. Im Schneideraum wurde abschließend ganze Arbeit geleistet. Dieser Film ist der erste eigen produzierte Streifen des Museums.

„Bräuche wandeln sich, neue kommen hinzu. Das wollen wir festhalten“, sagt Gröwig. Ingo Schabrich, Dezernent des Kreises Viersen, unterstreicht: „Bräuche geben Menschen, aber auch der Gesellschaft Halt und Struktur. Das ist ein tolles Thema. Und in unserem regionalen Museum richtig aufgehoben.“

Zu Wort kommt in dem Film auch Professorin Dr. Helena Siemes aus Viersen, die über „Feste und Bräuche am Niederrhein“ ein umfangreiches Buch geschrieben hat. Sie hat aus ihrem unerschöpflichen Geschichten-Fundus Silvesterriten herausgepickt. Von ihr erfährt man, dass Streit unter Nachbarn mit einem Handschlag in der Neujahrsnacht bereinigt wurde. Oder dass Bauern zuweilen auch ihren Tieren im Stall ein frohes neues Jahr wünschten. Und warum und wie man mit Milchkannenböllern das alte Jahr zuweilen risiko- und verletzungsreich verabschiedete.

Eineinhalb Tage lang hat Kevin Gröwig Anfang des Jahres auch die Sternsinger der katholischen Kirchengemeinde St. Benedikt Grefrath begleitet, sie beim Einsingen und Einkleiden in der Kirche und beim Absingen ihres Liedes an der Haustür erlebt. Sie haben, wie die anderen interviewten Niederrheiner, ihren Brauch so hautnah erlebbar gemacht, als sei man selbst ein Teil von ihnen.

Bewahren, erhalten, dokumentieren soll der Film, sagt Gröwig, im besten Falle zum Gespräch anregen, zum Erzählen, „so läuft das bei uns“. Wie der Baum in Neukirchen-Vluyn in sechs Wochen geschmückt sein wird, erfährt Kevin Gröwig erst an Heiligabend, wenn das Weihnachtszimmer für alle geöffnet wird. In einem Punkt kann er sich seit dem Dreh mit Schwiegermutter Gundel sicher sein: „Früher war mehr Lametta.“

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