Kempen Von Aleppo nach Kempen: Die Flucht von Baara Darwisch

Viele Besucher im St. Peter-Stift erfuhren, warum und wie der junge Syrer geflohen ist und wie er heute lebt.

Kempen: Von Aleppo nach Kempen: Die Flucht von Baara Darwisch
Foto: Reimann

Kempen. Die Cafeteria des St. Peter-Stift füllt sich immer mehr. Menschen unterschiedlichsten Alters nehmen an Tischen und auf den zusätzlich herangetragenen Stühlen Platz. „Mit so vielen Besuchern haben wir nicht gerechnet. Aber es freut uns sehr“, sagt Klaus-Peter Hufer und blickt den von der Besuchermenge ebenso überraschten Baara Darwisch an.

Im Seniorenheim bekommt das Flüchtlingsthema ein Gesicht: Es ist das eines schlanken jungen Mannes, der sein Abitur gemacht, Medizin in Aleppo studiert und in einem Krankenhaus dort seine Assistenzarzttätigkeit aufgenommen hat. „Ich hatte in Syrien ein gutes Leben“, sagt Darwisch.

Das ändert sich. Als er erfährt, wie siebenjährige Schüler unsäglich gequält werden, weil sie auf eine Wand die Aussage „Die Regierung muss weg“ gemalt haben. Er erlebt wie Soldaten ins Krankenhaus kommen, wild auf Wände einschießen und sterile OP-Bereiche einfach mit verdreckter Kleidung durchlaufen. „Es existiert kein Respekt mehr vor den Menschen“, sagt der Mediziner mit leiser Stimme.

Es gibt Pässe, um von einem Stadtteil in den anderen zu kommen und willkürliche Kontrollen der Menschen. Darwisch sieht, wie historische Bauten in Aleppo in Schutt und Asche gelegt werden.

„Aleppo war eine schöne Stadt mit vielen alten Gebäuden“, beschreibt er sein ehemaliges Zuhause. Doch die Diktatur nimmt alles. Er überlegt drei Jahre, bevor er den Beschluss fasst zu fliehen.

Darwisch versucht es offiziell mit einem Visum über die Botschaft, aber das geht nicht. Zusammen mit vier Männern, darunter ein Bruder, begibt er sich 2015 auf die Flucht. Der Wunsch nach einem Leben in Frieden und Freiheit mit Gerechtigkeit und Gleichheit treibt den 30-Jährigen an.

Ein Schlepper erhält von ihm 1000 Euro. Mit einem Schlauchboot geht es über das Mittelmeer. „Ich habe Angst vor Wasser und konnte zudem nicht schwimmen. Ich habe nur gedacht, entweder stirbst du oder lebst weiter“, sagt er.

Immer wieder stockt der Arzt, wenn er sich an einzelne Episoden der Flucht erinnert, die ihn emotional auch Monate danach sichtlich bewegen. Die Zeit der Flucht, in der er sich nicht als Mensch gefühlt habe. Sie hat ihn geprägt.

Er spricht von einer frostkalten Nacht, in der er nasse Bekleidung trägt und sich nur durch kontinuierliche Bewegung am Leben erhalten kann. Der mazedonische Winter in den Bergen erwacht im wohltemperierten Café des Seniorenstiftes zum Leben.

Angst, als Flüchtling erkannt und festgenommen zu werden, Vorsicht beim Lebensmitteleinkauf, zu der immer nur einer der Männer geht, um niemanden auf die Gruppe aufmerksam zu machen — die Besucher erleben Flucht mit.

Im Siegerland lebt Darwisch zunächst in einem großen Flüchtlingslager, bevor es nach Kempen geht. Innerhalb kürzester Zeit lernt er Deutsch. Sein Asylantrag wird genehmigt. Er kann als Arzt im Praktikum im Kempener Hospital zum Heiligen Geist seinem erlernten Beruf als Orthopäde nachgehen.

Die Besucher schmunzeln, als Darwisch verrät, dass er inzwischen in Kempen einen Schwimmkurs besucht hat. Spontaner Applaus, als er von den bestandenen Sprachprüfungen erzählt. Der Mediziner spricht von Heimweh und Sorge um die Familie, denn seine Eltern und drei Geschwister leben weiterhin in Syrien. Ein Nachbar ist kürzlich von einer Bombe getötet worden.

Viel Hoffnung auf Frieden in Syrien hat Darwisch nicht. „Es gibt so viele Parteien und so viele Interessen. Das Hoffen auf eine Lösung ist gering“, bemerkt er. Umso froher ist er, dass ihm in Kempen eine Chance auf ein normales Leben gegeben wird.

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