Debatte NS-Vergangenheit: Wilhelm-Grobben-Straße in Kempen soll umbenannt werden

Kempen · Wilhelm Grobben war Heimatdichter. Er war aber in Kempen auch Ortsgruppenleiter der NSDAP. Deshalb will die Verwaltung nun der 1964 nach ihm benannten Straße einen anderen Namen geben.

 Seit 1964 gibt es in Kempen eine Wilhelm-Grobben-Straße – wegen seiner Verdienste als Mundart- und Heimatdichter.

Seit 1964 gibt es in Kempen eine Wilhelm-Grobben-Straße – wegen seiner Verdienste als Mundart- und Heimatdichter.

Foto: Lübke, Kurt (kul)

Die Debatte ist nicht neu, sie bekommt nun aber eine neue Wendung. In der nächsten Sitzung des Kulturausschusses wird die Verwaltung der Politik vorschlagen, die Wilhelm-Grobben-Straße umzubenennen. Die Straße zwischen Berliner Allee und Ludwig-Jahn-Sportplatz trägt seit 1964 den Namen des 1944 verstorbenen Kempener Heimatdichters. In diesem Bereich hat sich Grobben von Historiker Hans Kaiser bestätigte Verdienste erworben. Allerdings hat das Leben Grobbens auch eine andere Seite. Der Leiter der früheren Kempener Hilfsschule (Martin-Schule) trat 1933 der NSDAP bei und füllte in der Partei der Nazis mehrere Ämter aus – bis hin zum Ortsgruppenleiter.

„In einer Abwägung seiner Verdienste als Mundartdichter Kempens und seiner langjährigen Tätigkeit als hoher Funktionär im nationalsozialistischen Terrorregime, dem auch in Kempen viele Behinderte und Juden zum Opfer gefallen sind, schlägt die Verwaltung vor, den Ratsbeschluss von 1964 aufzuheben und der bisherigen Wilhelm-Grobben-Straße einen neuen Namen zu verleihen“, heißt es in der Vorlage für die Sitzung, die von Bürgermeister Volker Rübo unterzeichnet ist. Das Thema wird am 7. November auf der Tagesordnung des Ausschusses stehen, weil es einen Bürgerantrag des Kempeners Hubert Baumgart auf Umbenennung der Straße gibt.

An der Peterstraße
hängt eine Gedenktafel

Die letzte größere Debatte rund um Grobben gab es 2015, als Historiker Kaiser bei einer Vorstellung eines seiner Bücher darauf einging. Aus der Berichterstattung der WZ heraus entwickelte sich eine öffentliche Diskussion. Kaiser hat Grobbens Wirken im Buch „Kempen unterm Hakenkreuz“ intensiv beleuchtet. Er wurde am 1. Oktober 1895 in Kempen geboren – als Sohn eines Polstermeisters an der Peterstraße 14. Dort hängt seit 1975 eine Gedenktafel für Grobben, die der Verein Linker Niederrhein (VLN) angebracht hat.

Verwaltung sieht Grobben
nicht als Mitläufer an

„Aus Sicht der Verwaltung bleibt, gestützt auf die Darstellung von Dr. Hans Kaiser, der Eindruck, dass Grobben nicht nur ein Mitläufer, sondern ein überzeugter Nationalsozialist gewesen ist“, heißt es weiter in der Sitzungsvorlage. „Noch während der Naziherrschaft verstirbt er 1944. Somit hatte er nicht die Gelegenheit, sich in der Nachkriegszeit zu erklären.“

Im Buch von Hans Kaiser heißt es, dass Grobben als „Kriegsfreiwilliger mit Hingabe am Ersten Weltkrieg teilnahm“. Die Niederlage Deutschlands, das Erlebnis der schlimmen Kämpfe in den Schützengräben und eine Beinamputation sollen Grobben tief geprägt und „verbittert“ haben.

1925 wurde Grobben Leiter der Kempener Hilfsschule. Laut Kaiser gehörte er der katholischen Zentrumspartei an; am 1. März 1932 sei er dem rechtsradikalen Stahlhelm beigetreten. „Wie viele Stahlhelm-Mitglieder fängt er an, Adolf Hitler als Leitfigur zu begreifen. Dieser Führer muss ihm als Sprachrohr der um den Sieg betrogenen Generation des Ersten Weltkriegs erschienen sein“, schreibt der Kempener Hans Kaiser.

Nach der Machtergreifung der Nazis 1933 wurde Wilhelm Grobben Mitglied der NSDAP. Im kulturellen Bereich füllte er diverse Posten aus. Laut Hans Kaiser ist Grobben als „Patriot zum Nationalsozialismus gekommen“. Er bezeichnet den Mundartdichter als „in führender Position recht moderat“. Kaiser: „Wir müssen Grobben abnehmen, dass er – aus seiner Sicht – für sein Volk nur das Beste gewollt hat.“

Allerdings soll Grobben auch „überzeugter Verfechter der nationalsozialistischen Rassenlehre“ gewesen sein. So habe er sich in Lichtbildvorträgen dafür stark gemacht, „Erbkranke – also Schwachsinnige, Epileptiker, Mongoloide, psychisch Kranke, Spastiker und erbliche Krüppel – sterilisieren zu lassen“.

Im Fazit des Grobben-Kapitels von Hans Kaiser heißt es dann: „Es ist schwer, Wilhelm Grobben gerecht zu werden. Hier ist Verschiedenes zusammengestellt worden, das teils für, teils gegen ihn zu sprechen scheint. Der Leser möge sich seine Meinung selbst bilden.“

Kaiser begrüßt die Debatte, ist aber gegen eine Umbenennung

Schon während der Debatte 2015 sagte Hans Kaiser, dass er eine Umbenennung der Grobben-Straße nicht für richtig hält. In diese Richtung argumentierte er auch am Freitag gegenüber der WZ. „Ich begrüße die Diskussion, die jetzt, ausgelöst durch diesen Antrag, wohl aufleben wird. Das Beispiel Grobben ruft zum Streit über die Frage auf, die im Sommer 2006 in den Auseinandersetzungen um Günter Grass gestellt wurde, als der seine einstige Zugehörigkeit zur Waffen-SS enthüllte: Kann man trennen zwischen literarischer Leistung und persönlichem Verhalten? Dass man Grobben, den begabten Dichter, unterscheiden muss von Grobben, dem überzeugten Nationalsozialisten, bedarf keiner Frage“, so die Stellungnahme Kaisers.

„Den Antrag selbst  unterstütze ich nicht. Einmal weiß ich nicht, wie ich an Grobbens Stelle unter den Bedingungen seiner Zeit (das heißt: extrem nationalbewusst geprägt von einer autoritären Erziehung und durch ähnliche Erlebnisse, wie er sie im Ersten Weltkrieg und danach erfuhr) gehandelt hätte. Zum anderen: Der Name ,Wilhelm-Grobben-Straße’ gilt nicht dem überzeugten Nationalsozialisten, sondern dem Heimatdichter, der vielen Kempenern in der Liebe zu ihrer Stadt aus der Seele sprach und spricht“, schreibt der Historiker in seiner Stellungnahme an die Redaktion. Man müsse differenzieren. Im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der NS-Zeit warnt Kaiser vor „raschen Urteilen“. Jeder Einzelne sollte sich auf seinem „moralischen Hochsitz nicht so sicher fühlen“, ergänzt der Historiker.

Seitens des VLN ist derzeit keine Änderung in Sachen Gedenktafel für Grobben am Geburtshaus, Peterstraße 14, vorgesehen. „Der Verein hat sich auch im Zusammenhang mit den Veröffentlichungen des Historikers Hans Kaiser noch einmal intensiv mit dem Thema befasst“, sagt Hartwig Spix, Vorsitzender des VLN in Kempen. Auf dieser Grundlage halte der Vorstand des VLN die Gedenktafel weiterhin für vertretbar und angebracht.

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