Interview Corona-Krise: Mehr Klarheit für den Brennpunkt Seniorenheim

Kempen/Kreis Viersen · Der neue Krisenstabsleiter Thomas Heil spricht im WZ-Interview über das Vorgehen, um die Corona-Krise in den Pflegeheimen in den Griff zu bekommen. Außerdem plant der Kreis Viersen ein sogenanntes Überlauf-Krankenhaus in Süchteln.

 Am Kempener Von-Broichhausen-Stift gab es am Mittwoch den ersten Screening-Einsatz: Landrat Andreas Coenen (5.v.r.), Krisenstabsleiter Thomas Heil (4.v.r.), Rainer Höckels (3.v.r.), Leiter des Amts für Bevölkerungsschutz, sowie Dr. Arndt Berson (2.v.r.), Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung im Kreis Viersen, mit den Helfern der Malteser und vom Deutschen Roten Kreuz.

Am Kempener Von-Broichhausen-Stift gab es am Mittwoch den ersten Screening-Einsatz: Landrat Andreas Coenen (5.v.r.), Krisenstabsleiter Thomas Heil (4.v.r.), Rainer Höckels (3.v.r.), Leiter des Amts für Bevölkerungsschutz, sowie Dr. Arndt Berson (2.v.r.), Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung im Kreis Viersen, mit den Helfern der Malteser und vom Deutschen Roten Kreuz.

Foto: WZ/Kreis Viersen

Seit gut einer Woche leitet Thomas Heil, Kämmerer und Dezernent für Gesundheit, Ordnung und Verbraucherschutz, den Corona-Krisenstab des Kreises Viersen. Nach der Freistellung von Dezernentin Katarina Esser durch Landrat Andreas Coenen koordiniert Heil nun die Krisenbewältigung. Am Mittwochvormittag stellte sich der Dezernent den Fragen der WZ in einem Telefoninterview.

Herr Heil, der Landrat hat Sie zum Krisenstabsleiter ernannt. Wann und wie haben Sie davon erfahren?

Thomas Heil: Ich bin am Mittwoch vergangener Woche um kurz vor 16 Uhr zusammen mit den Kollegen Budde und Schabrich ins Büro des Landrates eingeladen worden. Dort wurden wir über die Lage informiert.

Was haben Sie als erstes gedacht, als Sie hörten, dass Sie den Krisenstab übernehmen sollen?

Heil: Es kam nicht überraschend, und ich habe die Verantwortung gerne übernommen.

Jetzt sind für Sie schon ein paar Tage in dieser Funktion ins Land gegangen. Wie sind Sie das Projekt angegangen?

Heil: Ich habe mich am vergangenen Donnerstag sehr ausführlich vom Leiter der Koordinierungsgruppe Stab, vom Kreisbrandmeister und vom Ärztlichen Leiter des Rettungsdienstes über alle Abläufe informieren lassen. Wo laufen die Informationen auf? Wie sind die einzelnen Bereiche personell besetzt? Wer koordiniert was? Ich war sehr beeindruckt, wie professionell die Struktur des Krisenstabs aufgezogen worden ist. Das ist ein großer Apparat, der eine Riesenlage effizient bearbeiten muss. Teilweise gehören Einheiten dazu, die rund um die Uhr im Drei-Schicht-Betrieb arbeiten.

Trotzdem hatten Sie sicher auch den Auftrag, etwas zu verändern?

Heil: Ich halte es für wichtig, dass der Informationsfluss aus dem Krisenstab in Richtung Verwaltungsführung, aber auch in Richtung Pressestelle gut funktioniert. Daneben lege ich auf gute Zusammenarbeit  mit den kreisangehörigen Städten und Gemeinden wert. Ich habe vorgeschlagen, dass wir uns mit den Stäben für außergewöhnliche Ereignisse (SAE) der Städte und Gemeinden zusammensetzen. Wir haben heute um 14 Uhr eine Telefonkonferenz mit allen neun Kommunen (das Interview wurde am Mittwoch gegen 10.30 Uhr geführt, Anm. d. Red.). Da wollen wir einfach erfahren, wo der Schuh drückt. Welche Prozesse können wir untereinander und miteinander optimieren? Da bin ich zuversichtlich, dass dies gemeinsam gelingt.

Was ist denn im Moment die vorderste Aufgabe des Krisenstabs im Kreis Viersen? Stehen das Thema Schutzkleidung im Fokus? Oder doch eher die Lage in den Seniorenheimen?

Heil: Sie haben die wichtigsten Aufgaben im Wesentlichen genannt. Das Thema Schutzkleidung macht uns große Sorgen – insbesondere die Schutzkittel. Auch bei Masken, Handschuhen usw. können wir nicht aus dem Vollen schöpfen. Man fährt bei diesem Thema auf Sicht. Wie es in den nächsten Tagen weitergeht, weiß man. Aber wie es in zwei oder drei Wochen aussieht, falls sich die Lage verschärfen sollte, ist offen – und das gilt bundesweit.

Wo wollen Sie bei den Pflegeeinrichtungen für Senioren ansetzen?

Heil: Der Kreis bringt gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung, den Maltesern und dem DRK ein neues Screening-Fahrzeug auf die Straße. Sobald bekannt wird, dass es einen positiven Fall in einem Pflegeheim gibt, fährt dieses Screening-Fahrzeug dorthin. Ein Arzt oder eine Ärztin testet sofort alle: alle Bewohner, alle Pflegekräfte, alle Mitarbeiter aus Verwaltung und Küche. Egal, ob Symptome vorliegen oder nicht. Heute Morgen war das Screening-Fahrzeug erstmals im Einsatz, im Von-Broichhausen-Stift in Kempen. In der kommenden Woche wird in Seniorenheimen in Willich und Niederkrüchten getestet. Dadurch können wir die Lage in den Einrichtungen wirklich einschätzen, positiv Getestete können schnellstmöglich isoliert werden. Die Infektionsketten in den Altenheimen müssen unterbrochen werden.

Das klingt nach einem großen Aufwand. Ist das in Anbetracht der Belastung von Ärzten und Laboren überhaupt leistbar?

Heil: Natürlich brauchen wir dafür Personal und Material. Aber die Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Vereinigung und zum Beispiel Dr. Berson aus Kempen klappt sehr gut. Das Thema Seniorenheime ist der große Brennpunkt. Nicht nur im Kreis Viersen, sondern bundesweit. In diesen Heimen sind die Krankheitsverläufe schwer und wir haben Todesfälle zu beklagen. Von elf Todesfällen im Kreis Viersen sind neun den Altenheimen zuzuordnen (Stand Mittwoch, 10.30 Uhr, Anm. d. Red.). Daher müssen wir jetzt schnell erkennen, was wir noch verbessern können.

Was ist im Kampf gegen die Pandemie noch geplant?

Heil: Wir planen nun auch ein sogenanntes Überlauf-Krankenhaus. Dazu habe ich am Donnerstag eine Telefonkonferenz mit den Trägern der Krankenhäuser. Wir wollen klären, ob das ein reines Corona-Krankenhaus werden soll. Oder ob es gerade kein Corona-Krankenhaus werden soll. Das werden wir in Ruhe abstimmen. Derzeit haben wir drei von 22 Patienten in den Krankenhäusern, die beatmet werden müssen (Stand Mittwoch, 10.30 Uhr, Anm. d. Red.).

Welche Klinik kommt da als Standort infrage?

Heil: Es geht konkret um die LVR-Klinik in Süchteln. Dort ist man bereits dabei, das Personal intensivmedizinisch zu schulen. Und es sollen weitere Beatmungsplätze aufgebaut werden. In diesem Bereich passiert also in der Organisation eine Menge im Hintergrund. Gleiches gilt für das Thema Notunterkünfte.

Was hat es damit auf sich?

Heil: Dabei geht es um einen möglichen Anstieg von häuslicher Gewalt. Aber auch um die Unterbringung von Senioren, die nicht mehr im Pflegeheim bleiben können. Wir versuchen mit unserem Sozialamt und den Städten und Gemeinden zusammen, Liegenschaften für entsprechende Einrichtungen zu finden. Dazu gibt es eine Arbeitsgruppe. Es geht um die Schaffung von Plätzen, die es vielleicht anderswo wegen der Verbreitung des Virus nicht mehr gibt. Verteilt werden sollen die Notunterkünfte über das gesamte Kreisgebiet. Hervorzuheben ist die Stadt Willich, die einige Liegenschaften vorgeschlagen hat. Beim Thema Notunterkünfte brennt es noch nicht so stark wie vielleicht in anderen Regionen. Das kann sich aber mit einem Anstieg der positiv Getesteten schnell ändern. Das ist das Besondere an dieser dynamischen Lage. Jeden Tag steigen die Fallzahlen.

Beim Blick auf diese Zahlen: Warum haben wir eigentlich im Kreis Viersen deutlich mehr registrierte Corona-Fälle als beispielsweise in Krefeld? Wird hier mehr getestet?

Heil: Das ist anzunehmen. Ich gehe auch davon aus, dass nach den vielen Tests in den Altenheimen nun auch die Zahlen noch einmal in die Höhe schnellen werden. Die Dunkelziffer ist hoch. Und durch diese flächendeckenden Aktionen versuchen wir, mehr Klarheit zu bekommen. Wer viel testet, hat auch viele Fälle.

Sie haben jetzt intensiv und anschaulich geschildert, wie tief die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kommunen in der Krisenbewältigung stecken. Parallel läuft aber auch die Debatte, ob die Corona-Einschränkungen wieder gelockert werden sollen. Wie bewerten Sie diesen Austausch? Was erfahren Sie von Land und Bund?

Heil: Zu einer Exit-Strategie liegen uns von Land und Bund keine Informationen vor. Der Landrat und die Dezernenten sowie die Leitungen aller Ämter und Einrichtungen haben sich darüber ausgetauscht, wie es möglicherweise nach dem  19. April weitergeht. Kreisintern wird eine Arbeitsgruppe für alle Bereiche gegründet. Alles, was wir uns überlegen, ist aber abhängig vom Vorgehen von Bund und Land.

Heißt das also, dass die Kommunen genauso nur reagieren können beziehungsweise müssen wie beim Shut-Down?

Heil: Richtig. Die Ministerpräsidenten werden sich nach Ostern austauschen. Und wir wissen, dass wir am 15. April eine Aussage dazu bekommen sollen, was Schule und Kindertagesstätten anbelangt. Aber, was dann tatsächlich kommt, ist für uns noch völlig unbekannt.

Herr Heil, die letzte Frage. Herr Coenen hat im Interview mit der „Rheinischen Post“ gesagt, dass es zwischen ihm und Ihnen „hervorragend funktionieren wird“. Sehen Sie das auch so?

Heil: Absolut. Wir haben ein vertrauensvolles Verhältnis. Und ich habe auch das Gefühl, dass ich volle Rückendeckung vom Landrat habe. Wir sind in einem intensiven und guten Austausch, auch in der gesamten Verwaltungsführung. Das will ich auch genauso beibehalten.

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