Mutmaßliche Gewalt in Kitas Kita-Ermittlungen: Die Stadt Kempen sieht keine Verletzung der Meldepflicht

Kempen/Viersen · Bürgermeister Volker Rübo bezog im Kempener Jugendhilfeausschus Stellung zur Gewalt-Serie in Kitas, die eine 25-jährige Erzieherin verübt haben soll.

 Der gewaltsame Tod der dreijährigen Greta in einer Viersener Kita beschäftigt die Ermittler.

Der gewaltsame Tod der dreijährigen Greta in einer Viersener Kita beschäftigt die Ermittler.

Foto: dpa/Bernd Thissen

Nach Bekanntwerden eines mutmaßlichen Mordes an einem Kita-Kind in Viersen und weiteren mutmaßlichen Gewalttaten in Kindertagesstätten in Kempen, Krefeld und St. Tönis laufen die polizeilichen Ermittlungen weiter. Unterdessen steht weiterhin die Frage im Raum, ob sich die beteiligten Behörden in den Kommunen etwas vorzuwerfen haben. So auch in Kempen, wo die 25-jährige Beschuldigte ein Kind in der Kita Mullewapp viermal verletzt haben soll. Das Landesjugendamt prüft derzeit, ob in Krefeld, Kempen und St. Tönis Meldepflichten verletzt worden sind (die WZ berichtete). Am Montagabend bezog Bürgermeister Volker Rübo (CDU) Stellung im Jugendhilfeausschuss.

„In jeder der vier Einrichtungen, in der die Erzieherin bis zu ihrer Verhaftung beschäftigt gewesen ist, hat es einen oder mehrere Vorfälle gegeben, die mit dem Fall in Viersen vergleichbar sind“, gab Rübo die bisherigen Erkenntnisse der Ermittler wieder. „Jeweils hat die Erzieherin Kinder in der Schlafphase betreut und dann die Kollegen darüber informiert, dass ein Kind unter Atemnot leide.“ Die Erzieherin habe ihr Anerkennungsjahr in einer Kita der Stadt Krefeld absolviert, so Rübo. „Hier ist es bei einem Kind zu drei Vorfällen gekommen. Da das Kind entwicklungsverzögert war, konnte es sich nicht darüber mitteilen, was geschehen war.“

Erzieherin war mit der Betreuung von fünf U-3-Kindern betraut

Während ihres Anerkennungsjahres (2017 bis 2018) habe sich die Frau aus Geldern dann bei der Stadt Kempen beworben. „Am 20. März 2018 fanden Vorstellungsgespräche statt. Von den 14 Bewerbern, die eingeladen worden sind, erschienen neun Bewerberinnen als geeignet. Dazu gehörte auch die der Tat in Viersen beschuldigte Erzieherin“, beschrieb der Bürgermeister das Bewerbungsverfahren auf eine der Stellen, die die Stadt Kempen wegen des dringenden Personalbedarfes permanent ausschreibe. „Für die Einstellung reichte die Erzieherin ihr Zeugnis des Berufskollegs ein, mit der ihr der Abschluss als staatlich anerkannte Erzieherin zuerkannt worden ist“, sagte Rübo. „Am 1. August 2018 wurde sie mit einem Jahresvertrag angestellt und begann ihren Dienst in der Kita Mullewapp“.

Nach Angaben des Bürgermeisters wurde Sandra M. in der 5. Gruppe der Kita eingesetzt, in der fünf Kinder im Alter von ein bis drei Jahren betreut werden. „Hier kam es am 31. August 2018 zu einem ersten Vorfall. Die Erzieherin war alleine mit den Kindern während deren Ruhephase. Sie informierte ihre Kolleginnen, dass ein Kind unter Atemnot leide. Unverzüglich wurde ein Rettungswagen angefordert und das Kind in die Kinderabteilung des AKH Viersen gebracht.“

Dieser Vorgang wiederholte sich laut Rübo in den folgenden Monaten noch drei Mal. „Im Krankenhaus wurde das zweijährige Kind jeweils umfassend untersucht. Verschiedene medizinische Untersuchungen wurden ohne Ergebnis durchgeführt. Anzeichen einer Fremdeinwirkung hat es offensichtlich nicht gegeben. Jedenfalls hat es keine entsprechende Nachricht aus dem Krankenhaus gegeben“, sagte der Bürgermeister. Für die untersuchenden Kinderärzte im AKH, für die Unfallkasse, für die Eltern, für die Kolleginnen und Kollegen der Kita Mullewap und des Jugendamtes stand laut Rübo damals fest, „dass die Atemnot auf eine medizinische Ursache zurückzuführen sei, deren Ursache aber noch nicht diagnostiziert werden konnte“.

Wie bereits berichtet, bestätigte Rübo in seiner Stellungnahme, dass das Verhalten und die Leistung der Erzieherin während der sechswöchigen Probezeit in Kempen nicht so schlecht gewesen sei, um sie nicht weiter zu beschäftigen. „Danach verschlechterte sich das Bild. Dies führte zu der Empfehlung der Einrichtungsleiterin an das Personalamt, den Jahresvertrag nicht zu verlängern“, so Rübo. Dies sei der jungen Frau am 13. Mai 2019 mitgeteilt worden. „Unmittelbar nach dem Gespräch war die Erzieherin bis zum Ende ihres Jahresvertrages erkrankt und kehrte nicht mehr in die Einrichtung zurück.“

Rübo erklärte weiter, dass die Ermittlungen von Polizei Staatsanwaltschaft in Krefeld und Kempen noch nicht abgeschlossen seien. Der Haftbefehl gegen die Erzieherin beziehe sich weiterhin auf die Vorfälle in den Einrichtungen in Tönisvorst und in Viersen. In der St. Töniser „Biberburg“ war die Erzieherin nach ihrer Zeit in Kempen beschäftigt. Dort wurde sie jedoch nach der sechswöchigen Probezeit nicht weiter beschäftigt (die WZ berichtete). In St. Tönis hat es nach bisherigem Erkenntnisstand einen Vorfall gegeben. „Das betroffene Kind hat erzählt, jemand habe ihm auf den Bauch gedrückt“, sagte Rübo am Montag.

Zu weiteren Anzeigen aus
Kempen wird noch ermittelt

„Nach dem Bekanntwerden der Geschehnisse sind weitere Strafanzeigen von Eltern der Kita Mullewapp, deren Kinder in der Gruppe der Erzieherin waren, gestellt worden“, so Rübo. „In diesen Fällen wird von blauen Flecken und Kratzern berichtet. Die Polizei ermittelt in diesen Fällen und wir unterstützen sie dabei. Wir warten auf die Ermittlungsergebnisse.“

Dann ging der Bürgermeister auf die Geschehnisse auf Landesebene ein. Festgestellt worden ist laut Justizministerium, „dass es die Staatsanwaltschaft Kleve unterlassen hat, eine vorgeschriebene Meldung im Rahmen eines Strafverfahrens gegen die Erzieherin aus Mai 2019 (...) an die zuständige Aufsichtsbehörde vorzunehmen“. Dabei ging es um einen augenscheinlich erfundenen Überfall in Geldern. Laut Polizei hat sich die Beschuldigte damals selbst Verletzungen zugeführt. Ihr sei eine psychologische Behandlung nahegelegt worden. Ob sie diese wahrgenommen hat, ist offen, sagten die Ermittler bei einer Pressekonferenz am 28. Mai.

Der Leiter des Landesjugendamtes führte laut Rübo in der vergangenen Woche im Landtag aus, „dass sein Amt prüfen werde, ob die Träger der Kindertagesstätten in Krefeld, Kempen und Tönisvorst ihre Anzeigepflicht verletzt haben, weil sie die RTW-Einsätze nicht gemeldet haben“. Rübo: „Er stellte die Behauptung auf, dass, hätten die Einrichtungen dem Landesjugendamt die Vorfälle gemeldet, dem Amt möglicherweise die Häufung der RTW-Einsätze aufgefallen wäre.“

Stand jetzt, sieht die Stadt Kempen für sich keine Verletzung dieser Meldepflicht. „Die Anzeigepflicht ist in § 47 SGB VIII geregelt“, so der Bürgermeister. „Danach hat der Träger einer erlaubnispflichtigen Einrichtung der zuständigen Behörde unverzüglich Ereignisse oder Entwicklungen, die geeignet sind das Wohl der Kinder und Jugendlichen zu beeinträchtigen, anzuzeigen.“

Auf Nachfrage habe der Chef des Landesamtes in Düsseldorf ausgeführt, dass es bei 350 000 Kitaplätzen rund 1400 Anzeigen in 2019 gegeben habe. „Die relativ geringe Anzahl von Meldungen spricht für mich dafür, dass medizinische Vorfälle üblicherweise nicht gemeldet werden“, sagte Rübo. „So haben sich auch die Einrichtungen in Krefeld und Tönisvorst verhalten. Dafür spricht auch, dass der Leiter des Landesjugendamtes selber anregte, dass künftig die Kitas angewiesen werden sollten, jeden RTW-Einsatz zu melden. Ich gehe daher davon aus, dass die Meldepflicht nach § 47 SGB VIII nicht von uns verletzt worden ist.“ Die Stadt warte nun die Prüfung des Landesjugendamtes ab. „In jedem Fall scheint es erforderlich zu sein, dass das Landesjugendamt die Anzeigepflicht im Interesse der Träger weiter konkretisiert.“

„Abschließend möchte ich feststellen, dass wir sehr daran interessiert sind und daher auch daran mitwirken, die Vorfälle aufzuklären“, so Bürgermeister Rübo weiter. „Ziel muss es sein festzustellen, ob es Lücken im System gibt, die geschlossen werden müssen, um Gefahren abzuwenden.“

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