Buch über NS-Zeit "Mein Ziel war es, die Verführbarkeit durch eine Ideologie darzustellen"

Kempen · Der Buchverlag Kempen hat Josef Einwangers Buch über seine Nazi-Kindheit veröffentlicht. Jetzt kommt der Film dazu bundesweit ins Kino.

 Josef Einwanger hat im Buchverlag Kempen „Das Glaszimmer“ veröffentlicht, das jetzt im Kino läuft.

Josef Einwanger hat im Buchverlag Kempen „Das Glaszimmer“ veröffentlicht, das jetzt im Kino läuft.

Foto: Buchverlag Kempen

Josef Einwanger, geboren am 8. Februar 1935 im niederbayrischen Bachheim, hat seit 1979 mehrere Kinderbücher und Jugendromane verfasst. Im vergangenen Jahr veröffentlichte er über den Buchverlag Kempen „Das Glaszimmer und ein Brief an den Führer“ über seine letzten Wochen in der NS-Zeit. Der Film dazu läuft am Donnerstag bundesweit in den Kinos an, allerdings nicht in Kempen. Der Verlag hat aktuell auch ein Buch zum Film mit Romantext veröffentlicht.

WZ: Wann haben Sie mit dem Schreiben des Buches begonnen?

Josef Einwanger:  Es ging mir immer im Kopf herum. Ich habe den Krieg und die letzten Kriegsmonate erlebt. Ich war zehn Jahre alt, es war eine aufwühlende Zeit. Und nachdem ich generell mit dem Schreiben begonnen hatte, wollte ich das irgendwann einmal schreiben. Schon vorher habe ich das Drehbuch geschrieben, vor fünf Jahren zum ZDF geschickt. Das hat die Verfilmung an die Münchener „Lieblingsfilm“-Firma vergeben. Ich hatte den Film in einer Sondervorführung gesehen und ich stellte fest, dass der Film ganz anders als mein Drehbuch war, auch etwas klischeehafter, auch in Details wie bei dem elfjährigen Jungen, der eine Uniform trägt. Kinder durften so etwas erst mit 14 Jahren tragen. Man muss die Zeit verstehen. Das Glaszimmer kommt im Film auch nicht so vor wie im Buch. Und Verführung und Verführbarkeit als Thema kam in dem Film auch nicht so ganz raus. Die Szene, wo ich das Hitlerbild runternehme, einen Spiegel dagegenhalte und es über den Spiegel in Monsterköpfe zerlege, fehlt im Film. Und dann sagte ich mir: „Ich schreibe das Buch.“ Ich habe mir dann nur das Drehbuch hingelegt und habe es dann in Buchform gebracht, in einer einfachen Sprache, damit es auch Jugendliche anspricht. Ich habe etwas szenenweise geschrieben, das spürt man ein bisschen. Die Einteilung in Kapitel hat dann Herr van der Gieth vom Verlag gemacht. Ich habe möglichst authentisch geschrieben. Einige Sachen habe ich aber anders dargestellt.

Sie sind nicht ganz zufrieden mit der Verfilmung des Buches?

Einwanger: Ich war nicht ganz zufrieden, weil ich andere Vorstellungen hatte.

Was war Ihnen wichtig, in Film und Buch darzustellen?

Einwanger: Der Grundgedanke war, die Verführbarkeit des Menschen durch eine Ideologie zu zeigen – wie die Gedankenverführung durch unseren Ortsgruppenleiter.

Wie sind Sie an den Kempener Verlag gekommen ?

Einwanger: Ich habe das an eine Berliner Agentur gesandt. Und die haben geantwortet, das Drehbuch dann nach Kempen geschickt. Die Antwort aus Kempen war, dass ihnen das gut gefallen habe. Ich habe mich dann mit dem Verlag in Verbindung gesetzt.

Warum war Ihnen die kindliche Perspektive wichtig?

Einwanger: Ich habe auch andere Kinderbücher geschrieben, „Toni Goldwasser“ wurde sogar  verfilmt. Als Lehrer wusste ich, ich muss es aus kindlicher Sicht schreiben, damit es für Jugendliche spannend ist. Die Familien- und die Dorfgeschichte wollte ich spannend schreiben, auch die Geschichte um den Flüchtling Tofun, der genauso ums Leben kam wie in dem Buch.

Wie sehr hat das Buch Ihnen geholfen, mit der eigenen Geschichte zurecht zu kommen?

Einwanger: Das hat mich sehr befreit, ich durfte meine Geschichte erzählen, die ich als Last empfunden habe. Ich war einige Male in Todesangst, als wir bombardiert wurden.  Es war für mich eine Art Befreiungsfieber, als ich das geschrieben habe.

Sie erzählen, wie Sie in den letzten Kriegswochen versuchen, sich mit Ihrer Mutter in dem Dorf, in dem Sie wohnten, durchzuschlagen- mit einem fanatischen NS-Ortsgruppenleiter und dessen Sohn. Haben Sie damals wirklich begriffen, welche Mechanismen da auf Sie als Kind eingewirkt haben? 

Einwanger: Ich habe es insofern begriffen, als dass ich und meine Mutter christlich erzogen wurden. Da hatte ich das Gegenstück. Ich war Ministrant, war ein frommes Bübchen, und da war die Hitlerei. Ich musste im Dorf so tun, als wäre ich für Hitler, das war schon ein seltsames Spiel. Der Sohn des Ortsvorstehers war ein radikaler Kerl, den ich sehr gefürchtet habe. Später hat er ein Flüchtlingsmädchen geheiratet. Das ist schon grotesk. Sein Vater war ein einfacher Maurer, der sich als dickbäuchiger Bayer zum fanatischen Nazi gewandelt hat. Im Film ist er der Supernazi par excellence.  

Das Glaszimmer auf dem Dach hat in dem Buch eine zentrale Bedeutung. Wie wichtig war für Sie dieser Rückzugsort?

Einwanger: Das war Flucht- und Sühnezimmer, wo man für sich selbst sein konnte. Es hatte ein besonderes Flair, mit dem einen Fenster und in den Dachschrägen steckten die das Licht reflektierenden Spiegelscherben. Die Vorbewohner hatten sie da seltsamerweise reingesteckt – eine Kuriosität.

Gemeinsam mit ihrer Freundin Marta schrieben Sie einen Brief an Hitler mit der Bitte, den Krieg zu beenden. War das kindliche Naivität, der Impuls, etwas gegen das Grauen zu tun?

Einwanger: Den Brief haben wir wirklich geschrieben, aber dass wir ihn nach Braunau brachten, das habe ich erfunden. Der Brief kam aber wirklich in die Hände des Ortsgruppenleiters Feik. Marta habe ich später noch einmal getroffen, danach nie mehr. Wir Kinder waren damals mit zehn Jahren schon erwachsen. Wir hatten immer Krieg, Krieg, Krieg. Und wir hatten einen Atlas und ein Radio, wo ich immer nachgezeichnet habe, wo die Amerikaner waren.

Sie erleben ja die Bilder des Ukraine-Krieges heute. Was löst das in Ihnen aus?

Einwanger: Diese Trümmer, da sterben täglich Menschen. Da leide ich ganz schrecklich drunter, weil mich das an meine Ängste erinnert. Aber wir Kinder waren Kinder, die herumgehüpft und gespielt haben, wir haben auch ein lustiges Leben mit Raufereien untereinander gehabt. Auch die Kinder der Ukrainer im Zeltplatz, die laufen dem Fußball hinterher, die haben ihr eigenes Glück. Meine Mutter hat zu mir mal gesagt: „Wenn wir beide zusammen sterben, ist das nicht schlimm.“ Das hat mich so getröstet. Kinder erschaffen ihre eigene Welt.

Der Film wurde ja schon auf einzelnen Festivals gezeigt, erhielt Preise. Jetzt wird er ab Donnerstag bundesweit im Kino gezeigt. Was soll dieser Film bei Menschen auslösen?

Einwanger: Es wäre wichtig, den Film anzusehen, auch interessant für Schüler, Film und Buch zu vergleichen. Der Film soll die Hinterhältigkeit einer Ideologie zeigen. Und gerade jetzt ist er wichtig, wo wir wieder einen schrecklichen Krieg in Europa haben.

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