Tierschutz Kempen: Im Einsatz gegen Ferkelkastration

Kempen/Anrath · „Schwein ohne Pein“: Landwirte und Tierschützer wollen gemeinsam die Impfung forcieren.

 Noch ist eine Ferkelkastration ohne Narkose erlaubt.

Noch ist eine Ferkelkastration ohne Narkose erlaubt.

Foto: dpa/Henk Riswick

Dass Tierschützer und Tiermastbetriebe am selben Strang ziehen, ist eher selten. Doch in der Frage der Ferkelkastatration haben sich nun einige Landwirte aus Kempen und dem Kreis Kleve mit dem Tierschutzverein Düsseldorf zusammengetan. „Schwein ohne Pein“ heißt das Projekt. „Seit der Verlängerung der betäubungslosen Ferkelkastration setzen wir uns mit dem Projekt für bessere Haltungs- beziehungsweise Lebensbedingungen der Schweine in NRW ein“, sagt Winnie Bürger vom Tierschutzverein im WZ-Gespräch. Mit im Boot seien auch  Landwirtschaftskammer und Rheinischer Landwirtschaftsverband, so Bürger. Der Verband habe die Aktion, 100 000 Tiere mit Improvac zu impfen, angestoßen. In Anlehnung daran hatte der Tierschutzverein mit einigen Landwirten 1000 Ferkel mit diesem Stoff impfen lassen.

Dabei handelt es sich um eine unblutige, weil nicht chirurgische, Kastration. Und zwar um ein immunologisches Verfahren zur Verhinderung der Bildung der Geschlechtshormone, wodurch für eine begrenzte Zeit die gleiche Wirkung wie bei der Kastration erzielt wird. Die Wirkungsweise ähnelt einem Impfstoff.

Nach wie vor ist es erlaubt, Ferkel bis zu ihrem siebten Lebenstag ohne Betäubung, nur mit einem Schmerzmittel, zu kastrieren. Dies sollte eigentlich nur noch bis 2018 möglich sein, wurde dann aber vom Bundestag um weitere zwei Jahre verlängert. So dass erst zum 1. Januar 2021 eine Narkose und anschließende Schmerzmittelbehandlung Pflicht sind. „Wenn es nicht wieder verschoben wird“, so Bürger. Das Schmerzmittel allein mache die Prozedur der Kastration für die Tiere nicht stress- und völlig schmerzfrei.

Jörg Boves aus St. Hubert ist einer der Landwirte, die mit dem Tierschutzverein kooperieren. Seine männlichen Ferkel werden mit Schmerzmitteln kastriert. Seit drei Jahren setzt er bei einem Teil auch die Improvac-Impfung ein. 240 Muttersauen hat der Schweinezüchter und -mäster. „Ich habe alle drei Wochen etwa 150 Ferkel“, sagt Boves. Etwa die Hälfte davon seien männlich. Von diesen wiederum werde ein Teil herkömmlich kastriert, und zehn bis 15 weitere mit Improvac geimpft. Dazu gibt es noch solche, bei denen eine Kastration nicht möglich ist, weil zum Beispiel die Hoden im Bauchraum verblieben sind.

Boves hat gute Erfahrungen mit der Impfung gemacht. „Das Fleisch ist qualitativ dem der anderen Eber überlegen“, sagt Boves. Eber hätten eher seifiges Fett, das beim Braten schmelzen würde und das Fleisch trocken werden ließe. Anders als das Fett der geimpften Schweine. Die davon auch etwas mehr als die anderen hätten. „Doch heute will man meist nur mageres Fleisch“, nennt Boves einen der Gründe, warum es beim Verkauf der Tiere Probleme gibt. Die Hauptprobleme gebe es aber mit Schlachthöfen und dem Lebensmittelhandel. Erstere berechneten für die geimpften Schweine weniger als für die Eber. „Ich brauche 160 Euro für ein Schlachtschwein, um meine Kosten zu decken“, erklärt Boves. Für ein geimpftes Tier erhalte er etwa 20 Euro weniger. Je nachdem, wie hoch der Marktpreis für ein Schlachtschwein liegt, fahre er einen Verlust ein. Er selbst liefere einen Teil der geimpften Tiere direkt an einen Metzger, der selbst schlachtet. Die anderen gingen zum Schlachthof nach Geldern-Pont, der den „normalen Eberpreis“ zahle.

Der Lebensmittelhandel habe Angst vor einem „Skandal“, so Landwirt Boves. Denn oft würde behauptet, dass Improvac ein Hormon sei, was nicht stimme, und das käme beim Kunden nicht gut an. Weshalb der Handel Einbußen befürchte. Bei der Impfung werde jedoch nur die Hormonproduktion der Eber unterdrückt. Dabei werde die Hormonbildung durch Antikörper für etwa vier Wochen auf null heruntergefahren. Im Ausland, zum Beispiel in Belgien, sei das  Verfahren seit Jahren weit verbreitet.

Da sich Improvac wieder im Körper abbaue, so Tierschützerin Bürger, müsse die Impfung wiederholt werden. „Doch das geht für die Schweine stressfrei. Die Nadel wird vom Landwirt hinter das Ohr gesetzt.“ Mehrkosten pro Tier und Impfung von zwei Euro entstünden dem Landwirt, hat der Tierschutzverein errechnet.

Manche Eber stinken, beim
Braten entsteht ekliger Geruch

Nun zur Gretchenfrage: Warum müssen männliche Ferkel kastriert werden? Weil es unter ihnen „Stinker“ gibt. Sexuallockstoffe sorgen für einen durchdringenden Fäkalgeruch, wenn das Fleisch gebraten wird. „Aber nur drei bis zehn Prozent der Eber sind davon betroffen. Und nur Dreiviertel der Menschen können den Geruch wahrnehmen“, weiß Bürger. Für die Schlachthöfe bedeuteten diese Stinker Mehraufwand. „Speziell ausgebildete Arbeitskräfte können diese über ihren Geruch herausfiltern. Es wird eine Probe genommen und das Stück gebraten, um eine Bestätigung zu erhalten.“ Aber: Das Fleisch könne durch Raucharomen und Gewürze überdeckt werden, habe die Uni Göttingen herausgefunden.

Bürger nennt drei Wege für die Ebermast: Mästen unkastrierter Eber, Mästen unkastrierter Eber kombiniert mit der Improvac-Impfung  und das Mästen mit Kastration unter Vollnarkose. Alle diese Wege seien jetzt schon möglich. Der vierte Weg sei voraussichtlich vom Tisch. Dieser besage, dass die Landwirte selbst Schmerzmittel und Narkose verabreichen. Diese lege die Nerven lahm, „muss aber exakt im Samenstrang platziert werden. Was für einen Laien fast unmöglich ist“. Auch der Narkose mit Isofluran kann Bürger nur wenig abgewinnnen. „Dabei handelt  sich um ein Treibgas, das ist umweltschädlich.“ Zudem seien die Narkosegeräte noch nicht so konzipiert, dass alle Ferkel egal welcher Größe im Gestell gut untergebracht werden können. „Das bedeutet viel Stress für die Tiere. Sie können dabei schon mal zu Boden fallen.“ Das Mittel sei toxisch und erst nach zwei bis drei Tagen aus dem Körper verschwunden. Selbst der Hersteller warne Schwangere, nach der Narkose nicht durch den Stall zu gehen, da die Tiere das Mittel noch abatmeten. Bürger: „Das spricht ja wohl für sich.“

Nicht infrage für die Improvac-Impfung kämen Bio-Schweine, so Bürger. Das Siegel Bioland habe ihr mitgeteilt, dass der Stoff zwar kein Hormon sei, aber ein chemischer Stoff. Das sei für Bio-Produkte nicht erlaubt. Auf dem Stautenhof in Anrath, der seine Bio-Schweine selbst schlachtet, werden die Ferkel „seit etlichen Jahren per Injektionsnarkose betäubt. Während die Tiere  zwischen zwei und drei Stunden schlafen werden sie kastriert“, sagt Hofsprecherin Anika Launert. Diese Methode hätte sich bewährt. „An der Kastration mit Isofluran hatten wir Interesse, allerdings war lange Zeit nicht sicher, ob die Methode angewendet werden darf. Die Kastration mit Improvac sei getestet worden, habe „aber nicht gut funktioniert, da die Tiere in bestimmten Abständen vor dem Schlachten mehrfach geimpft werden müssen“. Das vertrage sich nicht mit den hoftypischen unregelmäßigen Schlachtterminen. Launert weiter: „Dazu kommt, dass das Mittel nur in großen Mengen abgenommen werden kann, so dass es bei einem kleinen Betrieb oft abgelaufen ist, bevor es aufgebraucht werden kann.“

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