Analyse zur Bürgermeisterwahl Was heißt eigentlich unabhängig?

Kempen/Grefrath · Die Bürgermeisterkandidaten Christoph Dellmans und Jens Ernesti sehen sich als unabhängig und überparteilich. Ist das so? Eine Analyse.

 Im März 2019 präsentierten die Vorstände von SPD und Grünen Christoph Dellmans als Bürgermeisterkandidat. Die Mitglieder beiden Parteien machten ihn dann im September auf ihren Versammlungen offiziell dazu.

Im März 2019 präsentierten die Vorstände von SPD und Grünen Christoph Dellmans als Bürgermeisterkandidat. Die Mitglieder beiden Parteien machten ihn dann im September auf ihren Versammlungen offiziell dazu.

Foto: Reimann, Friedhelm (rei)

„Hinsichtlich seiner politischen, sozialen Stellung, seiner Handlungsfreiheit nicht von jemandem, etwas abhängig.“ Diese Bedeutung des Adjektivs „unabhängig“ veröffentlicht der Duden auf seiner Homepage. Es gibt auch andere Intepretationen: „für sich bestehend; von jemandem, etwas losgelöst“ oder „nicht von etwas beeinflusst, durch etwas bedingt, bestimmt“. Was dieser sprachwissenschaftliche Exkurs an dieser Stelle soll? Im nun so richtig startenden Bürgermeisterwahlkampf gibt es in Kempen und Grefrath zwei Kandidaten, die mit dem Adjektiv „unabhägig“ für sich werben bzw. geworben haben. In Kempen will Stadtsprecher Christoph Dellmans Nachfolger von seinem Chef Volker Rübo (CDU) werden. In Grefrath will es Wirtschaftsförderer Jens Ernesti seinem Vorgesetzten Manfred Lommetz (parteilos) gleichtun. Die beiden „Unabhängigen“ gehen aber unterschiedlich unabhängig in den Wahlkampf. Eine Analyse.

Dellmans wurde von
Parteien zum Kandidaten gewählt

Beginnen wir mit dem parteilosen Christoph Dellmans, der sehr offensiv mit dem Wort „unabhängig“ wirbt – so zum Beispiel auf der Titelseite seines Facebook-Auftritts. Auf seiner Homepage ist dann eher häufig von „überparteilich“ die Rede, was laut Duden dem Wort „unabhängig“ schon sehr nah kommt. So heißt es seitens der Duden-Redaktion: „In seinen Ansichten über den Parteien stehend, von ihnen unabhängig.“ Eine Interpretation, die übrigens grundsätzlich auf die gesetzlich verankerte Rolle eines Bürgermeisters in NRW passt.

Im Wahlkampf gibt es aber mit Blick auf diese Definition im Lager von Dellmans’ politischem Gegner arge Zweifel. Vor allem nachdem der Stadtsprecher neben SPD und Grünen nun auch noch die Linken als unterstützende Partei hinter sich hat. Dellmans sei kein unabhängiger Kandidat. Er sei in erster Linie der Kandidat von Rot-Grün, weil SPD und Grüne ihn im Wahlamt als Bürgermeisterkandidat angemeldet hätten, hieß es jüngst am Rande der Pressekonferenz zur Vorstellung des CDU-Wahlprogramms. Dellmans war im September von den Mitgliederversammlungen von SPD und Grünen zum Bürgermeisterkandidaten gewählt worden; die Linke zog vor gut einer Woche nach.

Dellmans selbst betont stets, dass er sich über die Unterstützung der Parteien freue, aber eben völlig unabhängig von ihnen im Wahlkampf agiere. Und so soll es auch sein, wenn der Parteilose Bürgermeister werden sollte. „Ich bin SPD und Grünen dankbar, dass sie mich nominiert haben. Aber ich sehe mich als unabhängigen Kandidaten für Kempen“, sagte Dellmans anlässlich seines Kampagnen-Starts im Januar. „Trotzdem wird immer berücksichtigt, dass ich von SPD und Grünen aufgestellt worden bin.“

Grünen-Mitglied Ernesti
hat Unterschrfiten gesammelt

Über diese Berücksichtigung muss sich Jens Ernesti zunächst nicht kümmern. Denn der Wirtschaftsförderer hat sich bewusst dagegen entschieden, sich von einer oder mehreren Parteien aufstellen zu lassen. Und zwar trotz der Tatsache, dass Ernesti Mitglied der Grünen ist und mehrere Jahre für die Partei im Gemeinderat gesessen hat. Jens Ernesti kann sich zwar der Unterstützung aus den Reihen von Grünen, FDP und der neuen Wählergemeinschaft GOVM sicher sein. Auf dem Wahlzettel wird er aber stehen, weil er die ausreichende Zahl an Unterstützer-Unterschriften beim Wahlamt eingereicht hat. Im Vergleich zu Dellmans gab es für Ernesti keine Parteiversammlung, die ihn aufgestellt hat. Hier liegt also bei den Begrifflichkeiten von Unabhängigkeit und Überparteilichkeit durchaus ein Unterschied zwischen den beiden Kandidaten.

„Ich bin bestrebt, als unabhängiger Kandidat anzutreten“, so Jens Ernesti bei der Bekanntgabe seiner Ziele im November. Er verstehe sich als überparteilicher Kandidat, was angesichts seiner Mitgliedschaft bei den Grünen – wie in Kempen – im Lager des politischen Gegners in Grefrath bezweifelt und sicher auch im Wahlkampf thematisiert wird.

Parteiloser Lommetz hatte
auch Unterschriften gesammelt

Zu Ernestis Unterstützern gehört inzwischen auch offiziell Amtsinhaber Manfred Lommetz. Schließlich taucht der scheidende Bürgermeister sowohl in einem Werbe-Video von Ernesti als auch im Foto auf der Homepage des Bewerbers auf. Und so macht Ernesti auch keinen Hehl daraus, auf eine gewisse Art und Weise auf den Spuren von Lommetz weitermachen zu wollen.

In Sachen Unabhängigkeit ist Manfred Lommetz übrigens so etwas wie ein Prototyp für eine Bürgermeisterwahl, wenn man die in diesem Artikel erwähnten Kriterien analysiert. Lommetz gehörte 2009 – wie Dellmans jetzt – keiner Partei an. Damals forderte er als parteiloser Kandidat Herbert Kättner (CDU) heraus und holte aus dem Stand 52,1 Prozent. Um vor elf Jahren antreten zu dürfen, ging er im Vorfeld auf Unterschriften-Sammlung – so wie jetzt Jens Ernesti. In einer Partei aktiv war Lommetz in seinem Leben schon gewesen – bis 1994 sei er Mitglied der CDU gewesen, gab Lommetz 2009 gegenüber der WZ an. Die Partei, für die sein Vater Willy einst ehrenamtlicher Bürgermeister gewesen ist. „Ich habe keine politischen Berührungsängste – egal in welcher Richtung“, sagte Manfred Lommetz im Wahlkampf 2009.

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