Nazi-Vergangenheit Kempen: Die Wilhelm-Grobben-Straße bleibt

Kempen · Knappe Mehrheit entscheidet im Hauptausschuss für den Erhalt des Namens – mit einem Hinweisschild auf die NSDAP-Vergangenheit des Heimatdichters.

 Unter dem Straßenschild wird derzeit die Begründung des Namens dahingehend erklärt, dass Wilhelm Grobben ein „Heimatdichter in Kempener Mundart“ war. Jetzt entschied die Politik, den Kompromiss-Vorschlag von Hans Kaiser zu folgen. Ein weiteres Schild soll Hinweise zu seiner NS-Vergangenheit und der Auseinandersetzung der Politik mit diesem Thema geben.

Unter dem Straßenschild wird derzeit die Begründung des Namens dahingehend erklärt, dass Wilhelm Grobben ein „Heimatdichter in Kempener Mundart“ war. Jetzt entschied die Politik, den Kompromiss-Vorschlag von Hans Kaiser zu folgen. Ein weiteres Schild soll Hinweise zu seiner NS-Vergangenheit und der Auseinandersetzung der Politik mit diesem Thema geben.

Foto: Lübke, Kurt (kul)

Wird die Wilhelm-Grobben-Straße umbenannt? Oder bekommt das Straßenschild neben dem Hinweis, dass der Kempener ein Mundartdichter war, ein weiteren Hinweis, dass dieser auch eine NSPAP-Vergangenheit hatte? Über diese Fragen mussten am Dienstagabend die Mitglieder des Haupt- und Finanzausschusses (HuF) entscheiden. Ihre Kollegen aus dem Kulturausschuss, die nur über die erste Frage abstimmen mussten, waren mit 8:7-Stimmen für die Umbenennung. Die sieben CDU-Mitglieder wollten den Namen beibehalten. SPD, Grüne, Freie Wähler Kempen (FWK) und FDP waren für einen neuen Namen.

Und so schnell kann sich das hauchdünne Blatt wenden: Im HuF gab es von CDU und jetzt auch FDP neun Stimmen gegen eine Umbenennung. Bürgermeister Volker Rübo enthielt sich der Stimme. SPD, Grüne, FWK und Linke hatten mit acht Stimmen dafür votiert. Beim Entschluss für ein zusätzliches Hinweisschild gab es zehn Ja-Stimmen, dieses Mal mit Rübo, und acht Nein-Stimmen.

Ein Anwohner hatte
den Prozess angestoßen

Seit Wochen beschäftigt dieses Thema Politik, Verwaltung und Bürger, nachdem der Kempener Hubert Baumgart den Antrag auf Umbenennung gestellt hatte und die Verwaltung diesem Vorschlag – siehe Kulturausschuss – unterstützt hat. Unter anderem hatte sich Historiker Hans Kaiser für eine Beibehaltung ausgesprochen und den Kompromiss mit folgendem Text vorgeschlagen: „Diese Straße wurde 1964 nach einem in Kempen beliebten Heimatdichter benannt. Er war aber auch anderthalb Jahre NS-Ortsgruppenleiter und nahm mehrere Funktionen im NS-Kulturwesen wahr. Damit verkörpert er ein Dilemma deutscher Geschichte.“

Auch zur HuF-Stzung  waren  Anwohner und Interessierte erschienen. Hartwig Spix, Vorsitzender des Vereins Linker Niederrhein (VLN), bezeichnete in der Einwohnerfragestunde den Kaiser-Vorschlag als „echte Alternative und bessere Vergangenheitsbewältigung“. Anwohnerin Doris Hofricher schloss sich dem an. Dies sei „ein Mahnmal und kein Verdrängen der dunklen deutschen Geschichte“. Anwohnerin Adelheid Hausen machte direkt den Vorschlag, nur über das Zusatzschild abzustimmen und Udo Rautzenberg überreichte Rübo eine Unterschriftenliste. Zudem fragte er nach, ob sich Politik und Verwaltung über die Konsequenzen einer Umbenennung im Klaren wären. Dann müssten auch die Ludwig-Jahn- und Martin-Luther-Straße auf den Prüfstand. Außerdem sei Grobben „nur“ NSPAP-Ortsgruppenleiter im „Zeitraum 1937/38“ gewesen.

CDU: Dann müssten alle
Straßen auf den Prüfstand

Für die CDU hatte Heike Höltken das Wort. „Die CDU greift den Kaiser-Vorschlag auf“, sagte sie. Zudem bedauerte sie, dass die Bürger nicht im Vorfeld miteinbezogen worden seien. Höltken griff auch den „kurzen Zeitraum 1937/38“ von Grobbens NSDAP-Position auf. „Unbequeme Dinge sollen nicht verdrängt werden. Man muss sich mit der Geschichte auseinandersetzen.“ Doch wenn nun für eine Umbenennung gestimmt würde, müssten alle Straßen „historisch begründet“ werden.

FDP: „Fokus auf
den Heimatdichter legen“

FDP-Fraktionsvorsitzende Irene Wistuba gestand, dass sie hin und her gerissen gewesen sei. Ihr Fazit: Man könne, ohne die genauen Hintergründe zu kennen, „kein Pauschalurteil“ über Grobben abgeben. Zumal er ja „nur vom 11. Dezember 1937 bis 12. Oktober 1938“ Ortsgruppenleiter gewesen sei, also „nicht mehr zur Reichspogromnacht“. Man solle den Fokus auf den Heimatdichter legen. Weshalb die FDP für die Kompromisslösung eines zweiten Hinweisschildes stimmen würde. Im Kulturausschuss hatte Dieter Möller (sachkundiger Bürger der FDP) noch für eine Umbenennung gestimmt.

Grüne: Bürgerversammlung
und Arbeitskreis

Der Antrag der Umbenennung sollte als Anlass genommen werden, eine Bürgerversammlung zum Thema einzuberufen. Und auch die anderen Straßen sollten unter die Lupe genommen werden. Gerne mit einem Arbeitskreis und unter der Mitwirkung von Schulen. Das war der Vorschlag und Antrag vom Grünen-Fraktions-Chef Joachim Straeten. „Die Thematik kann solange zurückgestellt werden, bis gut und ordentlich recherchiert worden ist.“ Der Antrag wurde später bei zwei Ja-Stimmen und einer Enthaltung abgelehnt.

SPD hat Probleme
„mit der Haltung Grobbens“

„Die SPD“, so deren Fraktionsvorsitzender Andreas Gareißen, „bleibt bei ihrer Entscheidung. Wir haben schon 1964 bei der Rats-Entscheidung, die Straße so zu benennen, Probleme damit gehabt. Es geht um Grobbens Haltung.“ Er habe nach den eineinhalb Jahren nicht der Nazi-Politik „abgeschworen“, sondern sei aus gesundheitlichen Gründen als Ortsgruppenleiter zurückgetreten. Gareißen: „Das ist nicht nur eine Anwohnersache. Das strahlt auf den ganzen Ort ab.“ Und eine Adressen-Änderung der Anwohner an zum Beispiel eine Versicherung könnte man „mit einem Satz“ kundtun. Zudem wies er daraufhin, dass das Thema Heimat in „den 1930er Jahren ein beliebtes“ war. Die Auszeichnungen als Dichter habe Grobben von einem Gremium aus NSDAP-Leuten bekommen. „Es gab keine freien Bürger, Bücher wurden verbrannt und auch als Lehrer war er nicht unumstritten.“

Linke: Er ist kein
Mitläufer gewesen

Linken-Fraktions-Chef Günter Solecki kritisierte, Grobben politisch „auf eineinhalb Jahre zu reduzieren“. Als Beamter  habe dieser „1932 die Weimarer Republik, eine Demokratie, abschaffen“ wollen. „Er wollte ein Kaiserreich, eine Diktatur. Keiner zwingt uns, einem  überzeugten Nationalisten die Ehre eines Straßennamens teil werden zu lassen und so zu tun, als wenn er als Mitläufer von nichts gewusst hätte.“ Er stimme dafür, die Straße wieder in Fliederstraße umzubenennen. So hieß sie bis 1964.

Irene Steeger (SPD) gab eine persönliche Stellungnahme ab. „Wir haben die 60er Jahre überwunden und haben uns viel mehr mit der Nazizeit beschäftigt.“ Mit seinen Gedichten habe Grobben den „Nerv der Zeit“ getroffen. Das sei Geschmackssache. Ihr sei es wichtig, sich gegen die aktuellen „rechten Strömungen zu wehren“ und nach außen deutlich zu machen: „Wir sind nicht dabei.“

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