Lokale Wirtschaft Vom Flüchtling zur Fachkraft

Kempen/Tönisvorst · Die Integration von Geflüchteten kann helfen, den Fachkräftemangel zu beheben. Jabar Mirzai von der Garant GmbH ist ein gelungenes Beispiel – aber eine Ausnahme.

 Geschäftsführer Tim Holweg mit Jabar Mirzai bei der Arbeit in der Garant GmbH.

Geschäftsführer Tim Holweg mit Jabar Mirzai bei der Arbeit in der Garant GmbH.

Foto: Lübke, Kurt (kul)

Dass die deutsche Wirtschaft unter dem Fachkräftemangel leidet, ist längst kein Geheimnis mehr. Gemäß einer Erhebung des Instituts der Deutschen Wirtschaft sind zwei von drei Arbeitsplätzen, die eine entsprechende Berufsausbildung oder ein Studium voraussetzen, nicht zu vergeben. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWI) rechnet mit einem Fachkräfterückgang von zehn Prozent bis 2040. Gleichzeitig werden bis 2060 ein Drittel weniger Erwerbstätige erwartet. Besonders in den Bereichen Pflege, Medizin, Handwerk und in technischen Berufen werden dringend Fachkräfte benötigt. Fest steht laut BMWI: „Ohne Zuwanderung können wir das Erwerbspotenzial auf Dauer in Deutschland nicht halten.“ Einer Konjunkturumfrage der IHK zufolge, sehen 60 Prozent aller deutschen Unternehmen im Fachkräftemangel eine Gefahr für ihre Geschäftsentwicklung (2016 waren es nur 16 Prozent).

Am Niederrhein könnten 2021 40 000 Fachkräfte fehlen

Die IHK verzeichnet für den Mittleren Niederrhein 16 000 fehlende Fachkräfte, 2021 könnten es fast 40 000 sein. Somit sei der Fachkräftemangel das „gravierendste Konjunkturrisiko“. Eine Lösung könnte laut Bundesregierung die Verbesserung der wirtschaftlichen Integration von Geflüchteten sein. Eine Maßnahme der Bundesregierung: seit Frühjahr 2016 unterstützen rund 170 sogenannte Willkommens-Lotsen Unternehmen bei der Besetzung von offenen Ausbildungs- und Arbeitsstellen mit Geflüchteten. Auch die IHK hat für den Mittleren Niederrhein eine Willkommens-Lotsin, ein zweiter Lotse soll folgen. Unternehmen können sich an diese Lotsen wenden, um über die rechtlichen Voraussetzungen, Sprachförderungsmöglichkeiten und Eingliederungszuschüsse beraten zu werden.

So auch die Garant GmbH in Kempen, die sich auf Vulkanisierung und Gummierung sowie Stahl- und Apparatebau spezialisiert hat. Das Unternehmen entschied sich im Jahr 2016 dazu, Fachkräfte auszubilden und ließ sich von der IHK beraten. Im Jahr 2017 schloss sie mit dem 2015 nach Deutschland geflohenen Jabar Mirzai einen Ausbildungsvertrag. „Auch ohne Ausbildung würde ich ihn sofort übernehmen“, lobt Tim Michael Holweg, Geschäftsführer der Garant GmbH, seinen Mitarbeiter.

Der aus Afghanistan stammende 20-jährige Jabar hat durch die Aufnahme der Berufsausbildung eine Duldung in Deutschland erhalten. Diese wird für die Länge der Ausbildung erteilt. Allerdings ist im Fall von Mirzai unklar, inwiefern nach Abschluss der Ausbildung eine Aufenthaltsgenehmigung bewilligt wird. Holweg bestätigt, seitens der Behörden gebe es „viele Hürden“. Um ihn bei Behördengängen zu unterstützen, hat der 20-Jährige von 2016 bis Juli 2019 eine Betreuerin zur Seite gestellt bekommen.

Den Weg zu Garant hat der junge Mann durch ein 2017 absolviertes schulisches Praktikum gefunden. „Dem Meister hat Jabar sehr gut gefallen“, erzählt Holweg. Es sei Ziel gewesen, ihn nach dem Praktikum unbedingt zu behalten. Die Ausbildung zur Fachkraft in Maschinenanlagenführung ist seine erste Ausbildungsstelle, die er nach Beendigung der neunten Klasse auf dem Vera-Beckers-Berufskolleg in Krefeld begonnen hat. Nun ist Jabar Mirzai im zweiten Ausbildungsjahr und verdient zurzeit 600 Euro brutto. Sein Tätigkeitsbereich: Metall vorbearbeiten, säubern, schleifen, Grundierung, Sandstrahlung, Gummierung von Metallkreuzen. Der 20-Jährige werde vom Meister betreut, wickele die Aufträge aber alleine ab. „Er denkt mit und kommt sogar mit Verbesserungsvorschlägen, und das macht letztendlich den Unterschied zwischen gut und schlecht aus“, berichtet Holweg zufrieden.

Auch sprachlich habe sich der Azubi in den vergangenen Monaten stark verbessert. Während der junge Afghane sich am Anfang nicht getraut habe, zu sprechen, sei er inzwischen viel selbstsicherer. Ein Problem bereite ihm dennoch teilweise die Berufsschule, auf der er in Fächern, wie Mathematik, Instandhaltung, technische Zeichnung und Werkstoffbetriebslehre die theoretischen Grundlagen lernt.

Holweg: 50 Bewerbungsgespräche brachten keinen Erfolg

Aus Sicht des Unternehmers ist die positive Entwicklung bei Jabar Mirzai aber eher Ausnahme als Regel. Holweg habe rund 40 bis 50 Bewerbungsgespräche mit Geflüchteten geführt, von denen er keinen übernehmen konnte, überwiegend aufgrund der mangelnden Deutsch-Kenntnisse. Gerade die Sicherheitsrichtlinien erforderten bei den gewerblichen Ausbildungsberufen ausreichende Sprachkenntnisse, um das Unfallrisiko einzugrenzen.

Die Tönisvorster Flüchtlingshilfe bestätigt, dass die Sprachbarriere ein großes Problem bei der Einbeziehung von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt sei. Hierbei wünscht sich Michael Uredat, Ehrenamtskoordinator der Flüchtlingshilfe, mehr Zeit für die Geflüchteten. Denn eine Fremdsprache zu lernen, sei nicht einfach. Bei der Flüchtlingshilfe melden sich pro Woche zirka zwei Geflüchtete, hauptsächlich Geduldete, die eine Ausbildung suchen. Die Tönisvorster Institution hilft bei der Kommunikation und dem Zusammenstellen der Bewerbungsunterlagen, ist jedoch keine Vermittlungsorganisation.

Zurück nach Kempen zu Jabar Mirzai. „Auf der Arbeit habe ich Spaß. Ich wollte etwas mit Handwerk machen. Mein Ziel ist es, die Ausbildung erfolgreich zu beenden“, so der 20-jährige Auszubildende.

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