Grefrath Missbrauch: Viele Christen haben sich von der Kirche abgewandt

Grefrath. · Erziehungswissenschaftler sprach über Studie der deutschen Bistümer.

 Bei der Diskussion im Cyriakushaus (v.l.): Gabi Rinass-Goertz (Katholisches Forum), Hans-Joachim Hofer (Regionalteam Krefeld), Lisa Vratz (Regionalteam Krefeld), Harald Hüller (Regionalteam Kempen-Viersen), Martin Wazlawik und Johannes Quadflieg (Regionalteam).

Bei der Diskussion im Cyriakushaus (v.l.): Gabi Rinass-Goertz (Katholisches Forum), Hans-Joachim Hofer (Regionalteam Krefeld), Lisa Vratz (Regionalteam Krefeld), Harald Hüller (Regionalteam Kempen-Viersen), Martin Wazlawik und Johannes Quadflieg (Regionalteam).

Foto: Wolfgang Kaiser

Die Mitgliederstatistiken des Bistums Aachen zeigen es deutlich. Die Missbrauchsfälle haben das Vertrauen vieler Menschen in die Institution zerstört, und viele haben die Kirche insbesondere nach Veröffentlichung der „MHG“-­Missbrauchsstudie verlassen.Dabei handele es sich nicht nur um Menschen, die sich bereits von der Kirche entfernt hatten, sondern auch um solche aus dem innersten Kern, erklärte Prof. Martin Wazlawik am Donnerstagabend im Cyriakushaus. Der gebürtige Grefrather hat in Münster eine Juniorprofessur für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt „Pädagogische Professionalität und sexuelle Gewalt: Prävention, Intervention,
Kooperation“.

Zunächst schilderte Wazlawik, was sexualisierte Gewalt ist und wie es dazu kommt. Dabei räumte er auch mit dem einen oder anderen Vorurteil auf. Zum Beispiel, dass es bei Missbrauch ausschließlich um sexuelle Begierde gehe. Nur ein Teil der Täter sei pädophil. Der Missbrauch von Jungen habe nichts mit Homosexualität zu tun. Vielmehr gehe es bei Missbrauch darum, Macht über andere auszuüben.

In einer Befragung von Jugendlichen gaben fünf Prozent der Jungen und 15 Prozent der Mädchen an, sexuelle Gewalterfahrungen mit Körperkontakt gemacht zu haben. Das sei eine ähnliche Häufigkeit wie Diabetes. „Und Sie alle kennen jemanden, der an Diabetes leidet. Statistisch gesehen kennen Sie alle auch jemanden, der sexuelle Gewalt erfahren hat.“ Dies sei kein Nischen-Thema und auch keine Angelegenheit, mit der man sich nun mal beschäftige und die dann auch mal durch sei. Stattdessen müsse es permanent Thema sein.

Die Missbrauchsstudie hat erschreckende Missstände in den deutschen Bistümern aufgedeckt. Besonders erschütternd: Die Informationen über die Fälle und ihre schwerwiegenden Folgen für die Opfer sind alle in den Akten erfasst. Gehandelt wurde aber jahrzehntelang nicht.

So beherrschten die Themen Vertuschung und Versetzungen auch die Diskussion unter den Teilnehmern. Die Gläubigen sind besorgt, dass es auch heute noch dazu kommen kann, dass Beschuldigte einfach in eine andere Pfarre versetzt werden und dort vielleicht erneut Taten begehen
können.

Zölibat kein alleiniger Grund
für Missbrauch, sagt Wazlawik

Die katholische Kirche mache in Sachen Prävention eine Menge, schilderte Martin Wazlawik. Zehntausende Menschen wurden bereits geschult. Aber die Kirche trage Risikofaktoren in sich, darunter die Machtverhältnisse im Klerikalismus und die Sexualmoral. Wobei Wazlawik auch deutlich machte, dass der Zölibat kein alleiniger Grund für Missbrauch sei. Es sei vielmehr ein komplexes Zusammenspiel von mehreren Faktoren. „Wenn wir über die Grundrisiken nicht sprechen, ist Prävention ein teures Feigenblatt“, so Wazlawik.

Nach ihren Eindrücken am Ende der Veranstaltung gefragt, nannten einige Teilnehmer Wut, Fassungslosigkeit und Vertrauenskrise, aber auch Barmherzigkeit, Dynamik und Veränderungsfähigkeit.

Kirche braucht, so wurde es aus den Wortmeldungen deutlich, eine Erneuerung. Wie diese aussehen kann, wurde an diesem Abend kontrovers diskutiert.

Am Ende rief Regionalvikar Johannes Quadflieg die Besucher dazu auf, motiviert zu sein, die Herausforderungen anzupacken und sich für die einzusetzen, die Leid erfahren haben.

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