Geburtstag: „Öfter die Wahrheit sagen“

Der frühere Bundestagsabgeordnete Erwin Stahl (SPD) wird am Samstag 80. Mit der WZ sprach er über die heutigen Politiker.

Kempen. Frische Brötchen, Westdeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine und Kaffee in der SPD-Tasse — so sieht es auf dem Frühstückstisch von Erwin Stahl aus. Das Urgestein der Kempener und Tönisberger Sozialdemokratie feiert am Samstag seinen 80. Geburtstag. Politisch ist er zwar nicht mehr aktiv — Interesse an den Entscheidungen, die in Berlin fallen, hat der frühere Bundestagsabgeordnete aber immer noch.

„Ich verfolge die Bundespolitik jeden Tag und lese viel Zeitung“, sagt Stahl. Aus seiner Sicht hat sich das politische Geschäft im Vergleich zu seiner Zeit — er saß von 1972 bis 1990 im Bundestag — sehr verändert. Für das politische Spitzenpersonal hat Stahl einen Rat: „Sie sollten öfter die Wahrheit sagen.“ Früher seien er und seine Kollegen in vielen Sachen ehrlicher gewesen. In der heutigen SPD traut der Kempener nur Peer Steinbrück den Gang ins Kanzleramt zu: „Das ist ein guter Mann. Ein Pragmatiker, der viel bewegt hat.“

Pragmatisch ist auch Erwin Stahl in seiner politischen Karriere vorgegangen. „Ich war ein Vertrauter von Herbert Wehner. Zwischen uns hat die Chemie gestimmt. Er war ein guter Kerl“, erinnert sich Stahl an den früheren SPD-Fraktionsvorsitzenden mit Pfeife.

Bei ihrer ersten Begegnung habe es gleich gekracht — das habe dem Verhältnis aber gut getan: „Ich war Obmann für Technik und Forschung in der SPD-Fraktion. Als es in einer Debatte im Bundestag darum ging, saß ich neben Wehner“, erzählt Stahl. Als Neuling wollte er einen Rat vom Fraktionschef. Der wiederum ließ Stahl mit harschen Worten abblitzen. „Da habe ich auch harsch reagiert und gesagt: ,Sie sind mein Fraktionschef und nicht mein Gruben-Betriebsleiter’“, erinnert sich der frühere Bergmann Stahl. „Das hat ihm sehr imponiert und wir haben uns über Jahre sehr gut verstanden und regelmäßig ausgetauscht.“

Bergmann wurde Stahl 1956 auf der Zeche Niederrhein, ab 1962 in Tönisberg. 1964 trat er in die SPD ein. Als Ratsherr in Kempen wirkte er Anfang der 70er Jahre bei der Altstadtsanierung mit: „Das war ein schwieriger Prozess, der sich aber gelohnt hat.“ Stahl findet, dass sich die Altstadt heute sehen lassen kann. Er selbst wohnt seit 1982 an der Tiefstraße: „Hier ist immer viel los. Ich fühle mich in Kempen wohl.“

In den Bundestag zog Erwin Stahl 1972 ein, wurde später Staatssekretär im Forschungsministerium (1978 bis 1982). Nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag 1990 ging Stahl in den Osten und half beim Aufbau: Er wurde Vorstandsmitglied beim Energiewerk Schwarze Pumpe und half bei der Umstrukturierung des DDR-Staatsbetriebes.

„Ich bin mit meinem Leben zufrieden, auch wenn es nicht immer einfach war“, sagt Stahl, der nach dem Krieg vier Jahre in einem polnischen Internierungslager verbrachte. Gesundheitlich geht es ihm nicht mehr ganz so gut wie früher. „Wenn es aber so bleibt, bin ich zufrieden.“

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