Freikirche versus Stadt Antisemitismus-Vorwurf in Kempen: Die Fronten sind verhärtet

Kempen/St. Hubert · In der Debatte zum Vorwurf des Antisemitismus gegenüber Mitarbeitern der Stadt Kempen steht Aussage gegen Aussage. Ein behördliches Verfahren könnte nun vor dem Verwaltungsgericht landen.

 Im Obergeschoss dieses Gebäudes hat die Glaubensgemeinschaft einen Gebetsraum, den sie derzeit nicht nutzen darf.

Im Obergeschoss dieses Gebäudes hat die Glaubensgemeinschaft einen Gebetsraum, den sie derzeit nicht nutzen darf.

Foto: Lübke, Kurt (kul)

Im Streit zwischen der Stadt Kempen und der Freikirche „Maranatha Sinti Baptisten“ bleiben die Fronten verhärtet. Die Gemeinde, deren Mitglieder Sinti und Roma sowie Angehörige des jüdischen Glaubens sind, wirft Mitarbeitern des Bauordnungsamtes vor, sich bei einer Überprüfung des Gebetsraumes in St. Hubert antisemitisch geäußert zu haben (die WZ berichtete). Dazu soll es bei einem Ortstermin an der Bellstraße 70 am 9. Januar gekommen sein. An die Öffentlichkeit ging die Gemeinde mit dem Vorwurf am 30. März – über den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma.

„So bleibt meine Enttäuschung, dass die Freikirche nicht unmittelbar, nachdem sie Kenntnis von den angeblichen antisemitischen Äußerungen erlangt hat, den Kontakt zu mir gesucht hat. Zeitnah hätte so versucht werden können, die Situation zu klären“, teilte Bürgermeister Volker Rübo nach einem Gesprächstermin mit dem Anwalt der Gemeinde am 8. April im Rathaus mit. „Das ist allerdings leider auch im Termin am vergangenen Mittwoch nicht erreicht worden. Der Eigentümer besteht darauf, dass bei der Besichtigung der Kirchenräume von einem Mitarbeiter antisemitische Äußerungen gemacht worden seien“, so Rübo.

„Dieser Vorwurf wird von meinen Mitarbeitern entschieden zurückgewiesen“, teilt der Bürgermeister weiter mit. „Es hat im Rahmen der Besichtigung lediglich überrascht die Frage gegeben, ob sich in den Räumen Juden treffen. Hierzu sei angemerkt, dass der Raum mit der israelischen Fahne, dem Davidstern und als weiteres jüdisches Symbol mit der Menora, dem siebenarmigen Leuchter, ausgestattet ist. Eine solche Frage zu stellen, ist im Rahmen der Feststellung über die tatsächliche Nutzung von Räumen bei einer bauaufsichtsrechtlichen Überprüfung normal.“

Der Kempener Bürgermeister ist sich „absolut sicher, dass meine Kollegen keine antisemitische Einstellung haben und sich der Kollege, dem die Äußerungen vorgeworfen werden, auch nicht in der vom Eigentümer geschilderten Art und Weise eingelassen hat“. Rübo: „Meine Kollegen waren daher zutiefst betroffen und verletzt über die Aussage des Eigentümers. Sie genießen mein voll­stes Vertrauen.“

Der Anwalt der Freikirche stellte der WZ auf Anfrage auch eine Stellungnahme zur Verfügung. In dieser bezeichnet er das vermittelnde Gespräch als „gescheitert“. Bei den laut Gemeinde gefallenen antisemitischen Äußerungen geht es um folgendes. „Das sind doch Juden, die sich hier versammeln“ und „Ach, Judenkinder spielen hier auch“ waren laut Mitteilung des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma vom 30. März die getroffenen Aussagen der städtischen Mitarbeiter. In der Mitteilung des Anwalts vom 14. April werden folgende Zitate verwendet: „Hier versammeln sich wohl Juden“, „Hier ist auch eine Judenflagge“ und „Hier spielen wohl die Judenkinder“.

Letzteres sei mit Blick auf eine Spielecke mit Kindersitzen und -stühlen gefallen. Laut Anwalt mit „einer solchen Vehemenz, dass man über diese Äußerungen schockiert sein musste“. Wenn gesagt worden wäre, „dass sich hier eine jüdische Glaubensgemeinschaft trifft und die israelische Nationalflagge auch als solche bezeichnet hätte und nicht als Judenfahne, wäre an den Äußerungen im Rahmen der dienstlichen Ortsbesichtigung nichts auszusetzen gewesen“, teilt der Anwalt mit. „Aufgrund der Wortwahl konnte man jedoch auf eine antijüdische Einstellung schließen.“

Die Vertreter der Gemeinde haben nach eigenen Angaben erwartet, dass die Aussagen beim Gespräch im Rathaus seitens der Stadt Kempen als Missverständnis hätten ausgeräumt werden können. Darüber, dass die Mitarbeiter und Bürgermeister Rübo die Aussagen aber abstreiten, zeigen sich die Vertreter der Freikirche enttäuscht. Auch deshalb, weil der Anwalt, der auch im Januar beim Ortstermin dabei gewesen sei, nun bereit sei, die Aussagen per eidesstattlicher Erklärung zu bezeugen.

Gemeinde hat kein Verständnis für 500 Euro Bußgeld

Im Streit um die antisemitischen Äußerungen steht also Aussage gegen Aussage. Im Schreiben des Anwalts ist nicht die Rede davon, dass die Freikirchen-Gemeinde die Angelegenheit weiter verfolgen möchte. Anders ist die Lage beim eigentlichen Grund für den Prüfungstermin im Januar. Gegen eine Ordnungsverfügung der Stadt hat der Rechtsanwalt nach eigenen Angaben verwaltungsgerichtliche Schritte eingeleitet.

Die Stadt hatte der Glaubensgemeinschaft nach dem Ortstermin eine Nutzungsuntersagung zugestellt. In einem Raum in der ersten Etage auf dem Anwesen an der Bellstraße dürfen keine Gebetsstunden mehr abgehalten werden. Unter anderem deshalb, weil ein zweiter Rettungsweg fehle. Ein Umstand, den der Anwalt schon beim Ortstermin im Januar anerkannt habe. Die Gemeinde hat nach eigenen Angaben sofort erklärt, die Räume nicht mehr zu nutzen. Dennoch sei eine Ordnungsverfügung ausgestellt worden, verbunden mit einer Gebührensumme von 500 Euro. Darauf hätte die Stadt aus Sicht der Gemeinde verzichten können. Aufgrund dieses „nicht zu erklärenden Verhaltens“ will die Glaubensgemeinschaft nun rechtliche Schritte gehen.

Die Gemeinde, die auf dem Anwesen in St. Hubert Mieter ist, darf die Räumlichkeiten weiterhin nicht nutzen. Inzwischen sei aber eine Außentreppe als Rettungsweg installiert worden. Aus Sicht des Anwalts könnte die Stadt Kempen nach der Aufhebung des gesetzlichen Kontaktverbots wegen der Corona-Pandemie wieder erlauben, dass auf dem Hof Gottesdienste abgehalten werden dürfen.

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