Farbe bekennen gegen Hass und Antisemitismus

Bei der „Redaktion vor Ort“ wurde äußerst engagiert über das Thema diskutiert — mit fachlicher Expertise von Professor Hufer.

Farbe bekennen gegen Hass und Antisemitismus
Foto: Kurt Lübke

Kempen. Die Zahlen, die Politikwissenschaftler Klaus-Peter Hufer am Freitag mit zur „Redaktion vor Ort“ gebracht hat, sind alarmierend. Laut der Anti-Defamation League von 2015 wurde bei 16 Prozent von 600 Studienteilnehmern in Deutschland festgestellt, dass eine „allgemeine antisemitische Haltung“ vorhanden ist. Noch gravierendere Ergebnisse förderte die Studie mit Blick auf Muslime in Deutschland zutage. Nach Angaben der Wissenschaftler liegt der Anteil der Muslime mit „antisemitischen Neigungen“ bei 56 Prozent. Unabhängig ob nun Muslime oder nicht — Hufer bezeichnet die antisemitischen Tendenzen in Deutschland als „wachsendes Problem“.

Farbe bekennen gegen Hass und Antisemitismus
Foto: Kurt Lübke

So sahen es auch mehrere Bürger bei der „Redaktion vor Ort“ auf dem Kempener Buttermarkt. „Im direkten Umfeld bekomme ich keinen Fremdenhass oder Antisemitismus mit. Aber die Nachrichten über Judenhass in Deutschland stimmen mich nachdenklich“, sagt Ingrid Schmale. „Das ist erschreckend und so etwas darf es — gerade in Deutschland — nicht geben. Wir müssen bei diesem Thema Farbe bekennen und kundtun, dass das so nicht geht.“

Gustaaf Gijsemans, der in den 1960er Jahren als Soldat der belgischen Armee nach Kempen gekommen war und seit vielen Jahren Stadtführer ist, diskutierte engagiert mit Professor Hufer. Gijsemans sieht in den Beschimpfungen von Juden in Deutschland auch eine Verbindung zum Staat Israel, „wo nicht alles richtig läuft“. Darin bestärkte Hufer den Kempener: „Diese Form bezeichnet man als sekundären Antisemitismus“, so Hufer. Heißt: Die Kritik am Staat Israel werde von einzelnen Menschen auf die Juden projiziert. Das führe zu antisemitischen Stereotypen und sogar Nazi-Vergleichen. Ebenfalls als sekundärer Antisemitismus seien absurde Vorwürfe zu bezeichnen, nach denen Juden aus dem Holocaust Vorteile zu gewinnen versuchen.

Die fast 85-jährige Doris Springer kam zur „Mobilen Redaktion“, um Klaus-Peter Hufer für seine Ausführungen in der WZ Mitte dieser Woche zu loben. Antisemitismus in Deutschland dürfe nicht hingenommen werden. Sie selbst habe als Kind in ihrer Heimatstadt Breslau erlebt, wie jüdische Familien von den Nazis gebrandmarkt worden sind. Vorgänge, die sie heute noch im Kopf habe. „Es steht einem Menschen nicht zu, über andere zu richten. Ich liebe alle Menschen“, so die berührenden Worte von Springer, die seit 62 Jahren in Kempen lebt.

Auch Erika Kelleners-Esser warb für ein Miteinander unter den Menschen, egal welcher Hautfarbe, Staatsangehörigkeit oder Religion. Die Kempener berichtete von ihren Nachbarn, die aus der Türkei stammen. Einer Tochter der Familie habe Kelleners-Esser vor Jahren dabei geholfen, einen Ausbildungsplatz zu finden. „Das ist gelebtes Miteinander. Nur so kann es gehen“, sagt die Seniorin.

Ein Rentner (69) berichtet, er habe in Kempen noch keine antisemitischen Tendenzen feststellen können. Sollte er wirklich mal entsprechende Pöbeleien auf der Straße erleben, „würde ich dem eher aus dem Weg gehen“, bekennt er.

Ein Schüler (16) hat dagegen in St. Tönis durchaus schon antisemitische Äußerungen wahrgenommen. Aus einer Gruppe von Jugendlichen auf der Straße habe er Beschimpfungen wie „Drecksjude“ gehört, berichtet er.

Laut Historiker Hans Kaiser prägten schon im frühen 20. Jahrhundert rassistische Klischees die Sprache der Kinder. „Jüd, Jüd, hep, hep, hep, steck‘ die Nas‘ in die Wasserschep“, schrieen die Kempener Gassenkinder damals ihren jüdischen Altergenossen hinterher.

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