Kempen „Es ist einfach zum Weinen schön“

Passanten teilten gestern der mobilen WZ-Redaktion am Buttermarkt mit, welche Bräuche und Rituale sie persönlich zum Martinsfest in Kempen pflegen.

Kempen: „Es ist einfach zum Weinen schön“
Foto: Kurt Lübke

Kempen. St. Martin ist in Kempen eine Herzensangelegenheit. Die Liebe zum Brauchtum setzt sich mit Ritualen von Generation zu Generation fort. Und hält sich auch über Hunderte von Kilometern.

Kempen: „Es ist einfach zum Weinen schön“
Foto: Kurt Lübke

Brigitte Pieper stammt aus Leverkusen. Dort hat sie den Brauch kennengelernt. Dann aber hat sie mit ihrer Familie viele Jahre in Schleswig-Holstein verbracht, „wo man St. Martin nicht kennt. Ich habe es schmerzlich vermisst“, erzählt sie der Redaktion vor Ort. „Vor sechs Jahren sind wir wieder nach Kempen gezogen und ich hatte beim Martinszug Tränen in den Augen. Es ist einfach zum Weinen schön.“ St. Martin zähle zu den Bräuchen, die man „erhalten muss“. Sie hat einen festen Standplatz gegenüber der Kapelle. „Rechtzeitiges Erscheinen sichert die besten Plätze!“

Irmgard Kaemmer schlenderte am Martinsdenkmal vorbei. Den Kempener Zug kennt sie leider nicht. „Ich bin aus Oberhausen und gestern 80 Jahre alt geworden.“ Mit Sohn und Schwiegertochter hat sie sich aus diesem Anlass zu einer kleinen Reise entschieden und sich für vier Tage im Grefrather Hof einquartiert. Bis zum Zug bleibt sie leider nicht. Schade, wäre schön gewesen.

Den Zug nicht sehen? Undenkbar für Thomas Schongen. „Ich bin über 60 Jahre alt und habe in meinem Leben nur einmal St. Martin in Kempen verpasst.“ Das sei zu seiner Aachener Studentenzeit gewesen, erzählt er. Treffpunkt der Familie sei in jedem Jahr die Ellenstraße, „dort, wo früher Lederwaren Holtermann war. Wir waren mit Holtermann verwandt. Als es das Geschäft noch gab, tranken wir dort immer ein Bierchen und aßen Püfferkes.“ Auch für seine mittlerweile erwachsenen Kinder sei St. Martin ein besonderes Fest: „Nach dem Zug treffen sie sich mit Freunden immer im Kuba.“

Püfferkes — ja, die gehören für eine 80-jährige Passantin aus Kempen, die lieber ungenannt bleiben möchte, zu St. Martin unbedingt dazu. „Ich habe eine große Familie. Und sie kommt dann zu mir“, sagt sie. Für die Gäste wird am selben Tag der alte Bräter herausgeholt, darin werden die Püfferkes gebacken. „Für den Teig verarbeitete ich allein drei Kilogramm Mehl.“ Früher, erinnert sich die Kempenerin, „wurden die Püfferkes immer zum Abkühlen ans Fenster gestellt. Und dann von Kindern gemopst. Erst später habe ich verstanden, dass die Schüssel genau dafür auf die Fensterbank gestellt worden war.“

Sie freue sich sehr auf den Zug, vor allem auf den kurzen Augenblick, „wenn St. Martin durchs Kuhtor reitet. Das hat mich schon als junge Frau fasziniert.“

Anita und Erika aus Kempen freuen sich ebenfalls sehr auf den Umzug. Der Ablauf ist offenbar genau geregelt: „Man trifft sich zunächst auf der Ellenstraße, schaut sich den Zug — und dann geht’s weiter zum Feuerwerk.“ Anschließend bleibt aber keine Zeit mehr, um es sich irgendwo bei einem Glühwein gemütlich zu machen: „Wir müssen schnell nach Hause, falls Kinder bei uns singen kommen.“ Dieser schöne Brauch sei in den vergangenen Jahren aber leider zurückgegangen.

Edda und Heinz-Jürgen Zielinski schauen sich gerade mit ihren Enkelkindern Clara und Ida das Martinsdenkmal an. „Wir selbst kommen aus Aachen, unsere Tochter wohnt aber in St. Tönis“, berichtet Heinz-Jürgen Zielinski. Dort in der Laschenhütte werde St. Martin ebenfalls schön gefeiert: „Es gibt im Wohngebiet Laschenhütte einen eigenen kleinen Zug und sogar eine Bettlerszene am Feuer. Ein Nachbar stellt sein Grundstück zur Verfügung, dort werden dann auch Tüten ausgegeben.“

Hella Wieck aus St. Hubert stammt gebürtig aus dem Ammerland. Dort gibt es am 11. November das Martini-Singen von Haus zu Haus. Doch ein Vergleich zum St. Martin in Kempen und St. Hubert sei das nicht. „Da ich als Erzieherin in einem Kindergarten in Kempen arbeite, habe ich das große Glück, am 9. November mit meinen Kleinen durch die Straßen zu ziehen.“ Anschließend freue sie sich auf Zuhause: „Denn da kommen viele St. Huberter Kinder und klingeln an unserer Türe. Es wird kräftig gesungen, sogar kleine Block- und Querflötenauftritte sind dabei.“

„Bei uns kommen nur noch ab und zu Kinder zum Singen an die Tür“, bedauert Marlies Kroppen aus Wachtendonk. Der Zug dort sei aber auch nicht mit dem in Kempen vergleichbar.

Helmut Büren pflegt selbstverständlich die vielen kleinen St.-Martins-Traditionen, zu denen zum Beispiel die selbst gemachten Püfferkes gehören. Seine ganz persönliche Tradition ist das Filmen beim Zug. „Ich mache das jetzt schon seit mehr als 20 Jahren — außer bei Sturm und Regen“, berichtet er. Im Rathaus habe er auch schon mal einen Film vorführen dürfen. Ein Fan seiner Filme sei auch sein Schwager Arthur, ein Kempener, der vor Jahren nach Frankenthal in der Pfalz verzogen sei: „Wenn er selbst zu St. Martin nicht kommen kann, schaut er sich den Zug im Film an.“ Eine ganz andere Tradition in Kempen würde Helmut Büren übrigens gerne ändern: „Ich finde es sehr schade, dass es beim großen Zug keine Martinsszene am Feuer gibt. Die gehört zum Fest doch eigentlich dazu.“

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