Kempen : Engel und Hilfe am Lebensabend
Siegbert Krieger hat einen spannenden Beruf: Er begleitet Kempener Senioren, die ihren Alltag nicht mehr allein bewältigen können.
Kempen. Plötzlich setzt sich Ursula auf den Boden. Die alte Dame möchte nicht weiter spazieren. So kauert die 89-Jährige auf dem Bürgersteig, mitten in einem Kempener Wohngebiet. Rechts und links sind Einfamilienhäuser. Auf den Auffahrten sind einige Nachbarn unterwegs. Ursula reckt den Kopf mit den zerzausten Haaren in die Luft. Suchend blickt sie umher. Ihr Begleiter, ein Mann Anfang 50, beugt sich zu Ursula herunter. Er erkundigt sich nach ihrem Wohlbefinden. Der Mann heißt Siegbert Krieger. Er ist hauptberuflicher Seniorenassistent. Krieger verbringt Zeit mit 14 alten Menschen, hilft ihnen im Alltag, entlastet Angehörige.
Die meisten haben so wie Ursula Demenz. Die Krankheit ist auch der Grund dafür, dass sie sich auf den Boden gesetzt hat. „Ursula hat die Orientierung verloren. Deshalb möchte sie nach Hause“, sagt Siegbert Krieger. Er folgt ihrem Wunsch. Hier kommt einer seiner wichtigsten Grundsätze im Umgang mit dementen Menschen zum Tragen: „Man darf nicht versuchen, sie in unsere Welt zu zwingen. Man muss sich auf ihre Welt einlassen.“ Siegbert Krieger reicht Ursula seine Hand. Langsam trotten sie zu ihrer Wohnung.
Um die alte Dame und ihren Betreuer hüpft Pudel Gizmo. Er ist Kriegers wichtigster „Kollege“: „Selbst wenn die Leute bettlägerig werden und kaum noch sprechen können, kraulen sie Gizmo noch gerne.“ Als das Gespräch auf den kleinen Pudel fällt, jauchzt Ursula: „Das ist mein Engel.“ „Ich dachte, ich wäre dein Engel“, entgegnet der Begleiter. „Du bist auch mein Engel“, sagt Ursula. Beide lachen herzlich.
Seit vier Jahren ist Siegbert Krieger Seniorenassistent. Vorher hat er vieles probiert, war unter anderem Bürokaufmann und Stuckateur. Nirgendwo war er so richtig zufrieden. „Als ich meine Mutter bis zu ihrem Tod gepflegt habe, habe ich gemerkt, dass so etwas meine Erfüllung ist.“ Also machte er eine Ausbildung zum Seniorenassistenten, besuchte Weiterbildungen und machte sich mit dem erworbenen Wissen selbstständig. Für knapp 30 Euro pro Stunde verbringt Siegbert Krieger Zeit mit alten Menschen. Primäres Ziel ist es, einen Heimaufenthalt möglichst lange zu vermeiden.
Ursula und ihr Begleiter haben die Wohnung der alten Dame erreicht. Licht dringt nur durch die Spalten der weit heruntergelassenen Rollläden ein. Die Luft steht. Auch im Sommer dreht Ursula die Heizung bis zum Anschlag auf. Das kleine Appartement ist karg eingerichtet. Im Wohnzimmer steht ein dicker Röhrenfernseher. Die Wände? Bis auf einen Kalender und ein winziges Püppchen leer. Die Schränke? Ebenfalls ungenutzt. „Ursula fühlt sich so wohl“, sagt Siegbert Krieger. Daher wolle er ihr nichts anderes aufzwingen.