Eine der Letzten ihrer Zunft

Der Beruf Gebild- handstickerin wird seit 1972 offiziell nicht mehr gelehrt.

Eine der Letzten ihrer Zunft
Foto: Friedhelm Reimann

Kempen. Wilma Ingendae gehört zu den Letzten ihrer Zunft — sie ist gelernte Gebildhandstickerin. Im Jahr 1972, als Ingendae ihre Lehre mit einer Prüfung zur Paramentenstickerin abschloß, wurde die staatliche Anerkennung von 98 Ausbildungsberufen aufgehoben. Zu diesen Berufen zählt unter anderem das Handwerk der heute 60-Jährigen.

Schon in jungen Jahren zählten Sticken, Nähen und Stricken zu den Leidenschaften der gebürtigen Sonsbeckerin. Ihren Ausbildungsbetrieb lernte sie 1969 durch den Ratschlag ihrer Tante kennen, die von den Interessen des Mädchens wusste. In der Firma van den Wyenberg in Kevelaer, die Paramente und Fahnen herstellte, wurde Ingendae von 1969 bis 1972 zur Gebildhandstickerin ausgebildet. Nach der dreijährigen Lehre arbeitete sie noch weitere fünf Jahre für die Firma am Kapellenplatz, wobei sie sich genau an die strengen Vorgaben zu halten hatte.

1977 bekam ihr Mann einen Arbeitsplatz in Kempen, weshalb das Ehepaar von Sonsbeck dorthin umzog. Bei der Paramentenweberei Hubert Gotzes in Krefeld fand Wilma Ingendae eine neue Anstellung. Sie bekam zwar nur einen Stundenlohn von 3,20 Mark, hatte dafür aber als einzige Stickerin der Firma viel Freiheit in der Gestaltung ihrer Arbeiten.

An diese Zeit erinnert sich Wilma Ingendae gerne: „Ich wurde in meinem selbstständigen Tun durch meine Chefin Helga Maus immerzu gefördert“. Seit der Aufgabe des Betriebes 1992 ist Wilma Ingendae nun selbstständig. Da sie sich damals besser um ihre beiden Töchter kümmern wollte, entschied sich Ingendae aufgrund der variablen Arbeitszeiten für die Selbstständigkeit. Außerdem freut es sie, „endlich selbst Beratungsgespräche und den ganzen Prozess einer Fahnenherstellung durchführen zu können“.

Ihre Auftraggeber, zu denen größtenteils Vereine zählen, kommen zu ihr direkt ins Wohnzimmer. In einem Beratungsgespräch, das laut Ingendae „sicherlich ein bis eineinhalb Stunden dauern kann“, äußern die Kunden ihre Wünsche und die Gebildhandstickerin überlegt, inwieweit diese Vorstellungen umzusetzen sind. Anhand einer von Ingendae angefertigten Zeichnung werden die einzelnen Schritte für die Restaurierung oder die Anfertigung der Fahne geplant.

„Um eine neue Fahne anzufertigen, brauche ich, obwohl ich heute hauptsächlich mit Maschinen arbeite, ungefähr 100 Stunden“, erklärt die Kempenerin. Für diese zeitintensive Arbeit müssen die Auftraggeber schon mal vier- bis fünftausend Euro einkalkulieren. Doch diesen Preis nehmen sie gerne in Kauf. Ihr Lob können die Kunden Wilma Ingendae persönlich ausrichten, da auch die Abholung bei ihr Zuhause stattfindet. Sie bevorzugt den direkten Kontakt mit ihren Kunden und freut sich, wenn sie nach getaner Arbeit „Ja, das ist wirklich gut geworden“ zu hören bekommt.

Bis sie 65 Jahre alt ist, möchte Wilma Ingendae ihrer Passion auf jeden Fall nachgehen. Für den folgenden Lebensabschnitt hat die 60-Jährige noch keine Pläne: „Was dann kommt, weiß ich noch nicht.“

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