Erdkabeltrasse soll durch Kempen, Willich und Tönisvorst verlaufen An welcher Seite Kempens vorbei?

Tönisvorst/Kempen/Willich. · Die geplante Erdkabeltrasse des Betreibers Amprion soll zu 95 Prozent durch landwirtschaftliche Flächen führen. Die Landwirte in der Region sehen das mit Sorge. Gerade erst sind die Zeelink-Gräben geschlossen worden.

 Amprion-Berater erläutern interessierten Bürgern im Vorster Rathaus die ­Pläne für die Erdkabeltrasse durch Tönisvorst.

Amprion-Berater erläutern interessierten Bürgern im Vorster Rathaus die ­Pläne für die Erdkabeltrasse durch Tönisvorst.

Foto: Axel Küppers

(akü) Die Tönisvorster fragen sich, warum man die Tiefbau-Maßnahmen für Gas und Strom nicht gebündelt hat. Die Willicher fordern höhere Ausgleichszahlungen. Die Kempener interessiert vor allem, ob die Trasse östlich oder westlich des Stadtkerns vorbeiführt. Die geplante Erdkabeltrasse „A-Nord“ von der Nordsee an den Niederrhein bewegt zurzeit viele Menschen am Niederrhein.

Knapp 100 Interessierte nutzten jetzt in Tönisvorst, Willich und Kempen das Angebot von Amprion zum Bürgerdialog. Der Netzwerkbetreiber hatte jüngst die Pläne für die unterirdische Stromautobahn vorgestellt, die sich durch die Äcker ziehen wird. In Tönisvorst und Willich hatten sich jeweils 30 Betroffene angemeldet, in Kempen waren es sogar 35. „Das Beratungsangebot wird am Niederrhein deutlich intensiver genutzt als in Niedersachsen“, berichtet Amprion-Sprecher Jonas Knoop. Die weitaus meisten in den drei Städten waren Landwirte und Landbesitzer oder Verpächter der betroffenen Flächen.

Bündelung der anstehenden Verlegungsarbeiten nicht möglich

„Ich verstehe nicht, warum die Gasleitung Zeelink und die Stromleitung Amprion nicht gebündelt zusammen verlegt worden sind, um die Betroffenen zu entlasten?“, sagt Friedhelm Schlossmacher. Der 92-jährige St. Töniser wird von seinem Sohn zum Bürgerdialog begleitet, der für die Tönisvorster im Vorster Rathaus stattfindet. Das Amprion-Team hat Corona-bedingt sämtliche Sicherheits- und Hygienevorkehrungen im Blick und teilt die zweistündige Fragestunde in 15-Minuten-Blöcke ein. Die Bündelung der Energiemaßnahmen sei nicht möglich, sagt Knoop auf die Schlossmacher-Frage. Behördlicherseits müssten verschiedene Genehmigungswege beschritten werden; und die bereits abgeschlossene Maßnahme Zeelink sei zeitlich deutlich vor der von Amprion durchgeführten Maßnahme gesetzt. Hier sei der Baustart voraussichtlich 2023.

Dieser Argumentation kann nicht nur Friedhelm Schlossmacher schwerlich folgen: Gerade erst sind die gewaltigen Zeelink-Gräben durch die Landschaft wieder geschlossen, und schon kündigt sich eine mindestens so große Anschlussbaustelle an, die zu 95 Prozent durch landwirtschaftliche Flächen führen soll. „Das gleicht einer Enteignung“, sagt eine Tönisvorsterin, die namentlich nicht genannt werden möchte. Sie ist Verpächterin von landwirtschaftlich genutzten Flächen und ist mit ihrem Ehemann ins Rathaus gekommen. Die beiden tragen ein ganzes Bündel von Nachteilen vor: der Wertverlust des Bodens im Verkaufsfall, die ohnehin rarer werdenden Ackerflächen, mögliche negative gesundheitliche Auswirkungen durch die unterirdischen Stromkabel und schließlich der Qualitätsverlust des Bodens durch den massiven Eingriff.

Willicher Landwirte
fürchten Flurschäden

Genau dieses Thema – Bodenqualität – bewegt auch die Willicher Landwirte am meisten. „Die Flurschäden sind deutlich zu erkennen, die Bodenkultur wird über Jahrzehnte beeinträchtigt“, sagt Helmut Oellers (56) aus Neersen. Der Willicher Ortslandwirt ist mit vielen seiner Kollegen ins Technische Rathaus in Neersen gekommen, um die Argumente von rund 50 Willicher Bauern vorzutragen. „Wir sind nicht grundsätzlich gegen das Projekt, aber wir wollen ordentliche Entschädigungen haben“, bringt es Bernd Stennes (45) auf den Punkt. Zumal, so der Landwirt, die Willicher in den vergangenen Jahren fünfmal durch einschneidende Energiebaumaßnahmen betroffen gewesen
seien.

„Das Maß ist voll, uns reicht‘s“, sagt sein Landwirt-Kollege Peter Hermes. Mit seiner Ehefrau Gabriele Prosch-Hermes hat er sich vom heimischen Votzhof ins Technische Rathaus aufgemacht, um seinem Unmut Luft zu machen. Die Entschädigungsleistung sei vor allem deshalb nicht mehr „zeitgemäß“, weil ein Konzern wie Amprion über Jahre an der Maßnahme verdiene, die betroffenen Bürger aber mit einem einmaligen Bonus abgespeist werden sollen. Noch ein Hinweis von Hermes: Die Willicher hätten es auch besser gefunden, wenn der Amprion-Korridor durch Schiefbahn an den neuen Gewerbegebieten Münchheide 5 und 6 entlang liefe. Amprion hat für den Verlauf der Trasse Vorschläge erarbeitet, über den Verlauf von „A-Nord“ entscheidet aber die Bundesnetzagentur.

Aufgerissener Boden bekommt nie mehr die frühere Qualität

Beim Kempener Bürgerdialog scheiden sich die Geister an der Frage „Trasse östlich oder westlich der City?“ Während der St. Huberter Landwirt Heinz-Jürgen Boves (76) und sein Sohn Axel (41) auf eine West-Trasse hoffen, weil sie die „Grenze der Zumutbarkeit erreicht“ sehen, plädiert der Schmalbroicher Thomas Weeger für die Ost-Trasse, weil die Stromkabel ansonsten die „ertragreichsten und fruchtbarsten Böden in der Region“ durchtrennen würden. „Außerdem“, sagt der 45-Jährige, dessen Familie aus der Landwirtschaft kommt, „sind für den Kempener Westen noch andere Eingriffe wie Neubaugebiet, Umgehungsstraße und Solarthermie der Stadtwerke zu befürchten.“

Einig sind sich Boves und Weeger nach einer Begehung der Teststrecke im münsterländischen Raesfeld, dass einmal aufgerissener und durch Erdkabel verdichteter Boden nie mehr die alte Qualität bekommt wie vor dem Eingriff und dauerhaft beschädigt ist. Zur Kempener Ost-West-Diskussion scheint indes so etwas wie eine Vorentscheidung gefallen zu sein: Der St. Huberter Kommunalpolitiker Jürgen Pascher, der den Bürgerdialog im Forum St. Hubert ebenfalls nutzt, will von den Amprion-Beratern „eine Tendenz für die Ost-Trasse“ herausgehört haben.

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