Wülfrath: Leben im Obdachlosenheim

Thomas H. wollte nicht mehr bei den Eltern leben. Er zog aus, verlor den Job. Seit mehr als zwei Monaten wohnt er in der städtischen Obdachlosenunterkunft im Schlupkothen.

Wülfrath. Eigentlich war es nicht wirklich schlecht gelaufen für Thomas H. (Name von der Red. geändert). Nach dem Hauptschulabschluss hat der mittlerweile 22-Jährige zwar eine Lehre abgebrochen, aber einen Job bei einer Wuppertaler Firma gefunden. Ein paar Jahre klebte Thomas H. dort Briefumschläge zusammen. Kein gutbezahlter Job, aber es reichte für eine eigene Wohnung, das Auto und den Spaß mit Freunden.

Für den jungen Wülfrather war klar, dass er nicht wieder bei den Eltern einziehen würde. Dort gab es zwar den Luxus eines eigenen Zimmers im Einfamilienhaus, aber eben auch jemanden, der immer wieder mal sagt, wo es langgeht.

"Das ist mir einfach zu viel Kontrolle. Für mich und meine Eltern war klar: einmal raus, immer raus", sagt Thomas H. Seit mehr als zwei Monaten wohnt er in der städtischen Obdachlosenunterkunft im Schlupkothen.

Das Zimmer ist eng, an den Wänden lehnen die Einzelteile der Möbel aus der alten Wohnung. Lust, sie aufzustellen, hat Thomas H. offenbar nicht. In den Ecken stapeln sich die Umzugskartons, darüber die Kleidung.

Auf dem Tisch liegen ein Laptop und eine Playstation - fast so, als seien sie der einzige Lichtblick raus aus der Krise, oder doch zumindest eine Erinnerung an bessere Zeiten. Die waren für den jungen Mann plötzlich zu Ende, als der Arbeitgeber pleite war.

Kein Job, etliche Bewerbungen und genauso viele Absagen. Nach einem Jahr lief auch das Arbeitslosengeld aus. "Ich hab’ mir von Freunden Geld geliehen und Pfandflaschen gesammelt", erzählt er. Weil er sich mit der Bürokratie selbst nicht auskannte, versäumte er die Meldung bei der Arge. Zum Schluss fehlten Unterlagen, die Räumungsklage ließ nicht lange auf sich warten.

"Man gewöhnt sich an alles", sagt Thomas H. auf die Frage, wie es sich für ihn anfühlt, schon kurz nach dem Start in ein eigenes Leben bei den vermeintlich Gestrauchelten gelandet zu sein.

Dass er sich aber eigentlich gar nicht an ein solches Leben gewöhnen will, sagt er ein paar Sätze später. Die Wohnungssuche war bislang erfolglos, die meisten Vermieter stolperten über den Schufa-Eintrag wegen der Räumungsklage.

"Mit dieser Adresse einen neuen Start zu schaffen, ist nicht leicht", weiß auch Randi Selzener. Die Mitarbeiterin der Stadtverwaltung ist zuständig für die Betreuung der Bewohner in den Obdachlosenunterkünften in Schlupkothen und Maushäuschen.

Sie ist diejenige, die Thomas H. in den letzten zwei Monaten beraten und unterstützt hat. Und sie ahnt, dass es hinter der coolen Fassade ziemlich viel Verzweiflung geben muss. Und auch Gründe dafür, warum Jugendliche nach dem Auszug von zu Hause die Kurve nicht kriegen. "Das Problem hat sich verschärft, seit es die neue Harz-IV-Regelung gibt", sagt Randi Selzener.

Zuvor waren viele junge Erwachsene bei den Eltern ausgezogen und hatten sich die Miete vom Staat bezahlen lassen. Vor einem Jahr hat die Sozialgesetzgebung einen Riegel vor diese oft missbrauchte Praxis geschoben.

Nun müssen junge Erwachsene sich die eigene Wohnung selbst finanzieren oder bei den Eltern wohnen bleiben, bis sie 25 Jahre alt sind. Wenn es dann daheim Ärger gibt, oder es so wie bei Thomas H. kein Zurück ins Elternhaus, bleibt meist nur die Obdachlosenunterkunft.

"Für Eltern ist das oft auch eine schwierige Situation. Es stellt sich einfach die Frage, wie lange man für seine Kinder verantwortlich ist und ob nicht irgendwann der Moment kommt, wo sie ihr Leben selbst in den Griff kriegen müssen", glaubt Randi Selzener.

Sie versucht, einen engen Kontakt zu den Betroffenen und auch zur Arge zu halten, damit Vereinbarungen auch eingehalten werden. Denn sonst droht oft auch noch, dass die Hartz-IV-Bezüge gestrichen werden. "Sie dürfen auf gar keinen Fall 24 Stunden am Tag auf der Couch rumhängen", macht Randi Selzener eine klare Ansage.

Bei Thomas H. scheint das ganz gut zu funktionieren. Zumindest beruflich gibt es für den 22-Jährigen einen Lichtblick: Seit einigen Wochen macht er ein Praktikum im Altenheim. Er könnte sich vorstellen, dort eine Ausbildung zum Altenpfleger zu beginnen.

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