Neviges Volles Geläut an Online-Weihnachten

Neviges · Wegen ausgefallener Gottesdienste blieben die Glocken in diesem Jahr oft stumm – das soll beim Fest anders sein.

 Küsterin Birgit Dywicki muss nicht mehr wie vor 70 Jahren an Seilen ziehen, um die Glocken der evanglischen Stadtkirche erklingen zu lassen. 

Küsterin Birgit Dywicki muss nicht mehr wie vor 70 Jahren an Seilen ziehen, um die Glocken der evanglischen Stadtkirche erklingen zu lassen. 

Foto: Ulrich Bangert

. In diesem Jahr haben die Kirchenglocken nur wenig geläutet. „Weil viele Gottesdienste nicht stattfinden konnten, blieben die Glocken stumm“, resigniert Pfarrer Detlef Gruber von der Evangelisch-Reformierten Kirchengemeinde. Auch am heutigen Heiligen Abend finden keine Gottesdienste statt, damit sich das Coronavirus nicht ausbreiten kann. Doch um 17 Uhr gibt es „volles Geläut“. Ein Zeichen, sich an den Computer zu setzen oder das Smartphone in die Hand zu nehmen: Der seit langem vorbereitete Videogottesdienst „Das Wunder von Neviges“ und eine Christvesper mit musikalischer Begleitung sind ab 17 Uhr auf der Homepage der Gemeinde (ev-Kirche-Neviges.de) zu sehen.

Bei dem Festtagsgeläut setzt Küsterin Birgit Dywicki die drei Glocken zeitversetzt in Bewegung. Eine davon ist eine echte Rarität: Sie klingt in der Tonart „gis“, gedenkt der Heiligen Margarethe und wiegt 450 Kilogramm. Das Besondere ist ihr Alter: Sie stammt aus der vorreformatorischen Zeit, nämlich dem Jahr 1475 und ist damit eine der ältesten Glocken in Nordrhein-Westfalen.

Die aus dem Jahr 1536 stammenden Glocke, die Maria gewidmet war, überstand den Zweiten Weltkrieg nicht und wurde eingeschmolzen. 1953 konnte sie durch einen neuen, 310 Kilo schweren Guss ersetzt werden, mit dem selben Ton „h“. Weil Bronzeschrott kostenlos verfügbar war, fielen nur die Herstellungskosten von damals 834 D-Mark an. Als er 30-jährige Krieg 1648 zu Ende ging, wurde die 180 Kilo schwere dritte Glocke aus der Form geschlagen. Sie wird die Totenglocke genannt: Mit ihrem Ton „dis“ begleitet sie den letzten Gang von der Friedhofskapelle zum Grab.

Glocken spielen die Anfangsmelodie vom ‚Pater Noster’

Als vor fünf Jahren die Kirche saniert wurde, erhielten die Glocken neue Holzjoche. Geblieben sind die runden Durchlässe in der Zwischendecke im Turm. „Da wurden die Seile durchgeführt, mit den denen die Glocken ins Schwingen gebracht wurden“, weiß die Küsterin. „Wir haben das zu dritt gemacht, mein Bruder, ein Freund und ich“, erinnert sich Hans Willwoll an die Nachkriegszeit. Die Jungs hatten ihren Spaß dabei: „Wir haben uns durch die Stricke hochziehen lassen. Dabei mussten wir aufpassen, dass wir uns durch die Reibung die Hände nicht verbrannten.“

Kurz vor Weihnachten im Jahr 1900 müssen es die Messdiener beim Läuten in der heutigen Pfarrkirche etwas zu bunt getrieben haben, weshalb eine Glocke kaputtging. „Ob das so stimmt, kann man heute nicht sagen“, gibt sich Theo Tilling vorsichtig. „Auf jeden Fall lieferte 1901 die Firma Otto in Hemelingen bei Bremen eine 290 Kilo schwere, zu Ehren der Jungfrau Maria benannten Glocke.“ Die selbe Glockengießerei stellte außerdem die 170 Kilo schwere „Franzikusglocke“ und die „Antoniusglocke“ (120 Kilo) her.

„Wenn die gemeinsam erklingen, entsteht die Anfangsmelodie vom ‚Pater noster’“, weiß der Nevigeser, der seit seiner Kindheit mit der katholischen Gemeinde eng verbunden ist. Der Mariendom verfügt nicht über einen Glockenturm. „Bei der Planung des Bauwerks war ein Glockenturm vorgesehen. Dieser sollte auf der gegenüberliegenden Seite der Löher Straße stehen und durch eine geschlossene Brücke mit dem Mariendom verbunden sein. „Das wurde aber nicht verwirklicht; möglicherweise reichte das Geld nicht, weil der Bau mehr kostete, als veranschlagt“, vermutet der ehemalige Nevigeser Franziskanerbruder Peter Fobes, der jetzt in Dorsten lebt. „Stattdessen bekam der Mariendom den kleinen Vorsprung an der Nordwestseite und musste sich mit nur einer Glocke, die dort eingehängt wurde, begnügen. Dies entspricht der Bautradition der Franziskaner: Als die Bettelorden, zu denen die Franziskaner gehören, im 13. Jahrhundert einen eigenen Kirchenbautyp entwickelten, verzichteten sie wegen ihres Armutsideals auf Glockentürme und begnügten sich mit einem Dachreiter.“

„Die Glocke am Mariendom wiegt 80 Kilo und wurde von dem Glockengießer Hüesker in Gescher gefertigt und hat keinen Namen“, weiß Theo Tilling. „Sie ist auf die Glocken der Pfarrkirche abgestimmt, sie klingen melodisch zusammen und erzeugen den marianischen Hymnus ‚Regina caeli laetare’.“

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