Ratingen: Fresh Familee - Das Herz schlägt für West

Was ist aus Ratingens populärem Musik-Export geworden? Rapper Tachi spricht über seine Vergangenheit und Zukunft in West.

Ratingen. Fast 20 Jahre ist es her, da wurde in Ratingen West deutscher Hiphop geboren. "Ich kam aus dem Heim, war kurz im Knast und wusste genau: Da will ich nie wieder hin", erinnert sich Tahir Cevik heute. Der junge Türke, der zwischen den Blocks rund um den Berliner Platz groß und hart geworden ist, hatte sich bis dahin schon mit Graffiti und Brakedance abreagiert - mit 18 kamen die Reime und der Rap dazu. Die Vorbilder waren schwere Jungs aus den amerikanischen Ghettos, die Nachahmer waren Freunde von der Straße. 30 bis 40 Jugendliche haben in West damals gerappt, schätzt er heute - "das gab es außerhalb von Ratingen West überhaupt nicht." Aus Tahir Cevik wurde Tachi und zusammen mit dem harten Kern der Rapper-Clique - Suli Isak, Higgi Kandri und Jörg Müller - bildeten sie die "Fresh Familee", rappten über falsche Politik, Fremdenhass und die Probleme in ihrem Block. 1993 bekamen sie dafür einen großen Plattenvertrag, wurden von den Medien entdeckt und tourten durch die Republik. Fünf Jahre später brachten sie die letzte Single "Wir sind da!" auf den Markt - dann war mit Ratingens großem Musik-Export Schluss.

"Ein schönes Gefühl, wieder zwischen den Blocks aufzuwachen"

Tachi, der Kopf der Band, lebt heute zwar mit Frau und Sohn in Braunschweig - doch es zieht ihn mit Macht zurück nach Ratingen. Gerade erst war er wieder zwei Wochen in West. Und hat es genossen: "Es ist einfach ein schönes Gefühl, zwischen den Blocks aufzuwachen, wieder in der Heimat zu sein." Wer in Ratingen West aufgewachsen ist, liebt es ein Leben lang, ist er sich sicher. "Wir hatten alle Probleme zuhause, aber viel Spaß draußen." Dass das Jugendamt und die Polizei das mit dem Spaß etwas anders sahen, weiß er wohl. Dennoch glaubt Tachi, dass die Zustände heute eher noch schlimmer geworden sind: "Es fällt schon auf, wie krass die Jugendlichen heute drauf sind." Was nach diesen Bekenntnissen zum Stadtteil kaum noch überrascht: Tahir Cevik will wieder zurück kommen. Und sich dann auch für junge Ratinger einsetzen. Vielleicht mit einem wöchentlichen Workshop im Jugendzentrum. Oder mit einem Theaterprojekt. Die Kontakte nach Ratingen hat er bis heute warm gehalten. Besonders den zu Heiner van Schwamen, Lehrer am Bonhoeffer-Gymnasium und Gründer des Stadtteilkulturbüros InfraWest. "Der war so etwas wie ein Mentor für mich."

Der Rapper hat die Bühne entdeckt - und ein Solo-Album aufgenommen

Dabei würde Tachi auch ohne soziales Engagement sicher nicht langweilig werden. Seit fast zehn Jahren ist er Mitglied der Jazzkantine, die auf hohem Niveau Hip-hop, Funk und Jazz miteinander verbindet. Vergangenes Jahr stand er auf der Landesbühne in Hannover und hat die Hauptrolle in einem Stück über 100 Jahre Hiphop gespielt. Auch am Braunschweiger Staatstheater gibt er in dieser Saison den Rapper in dem satirischen Grand-Prix-Musical "Ölper, 12 Points". Und sein neuestes Solo-Projekt hat er gerade in Düsseldorf eingespielt: Puffbaba, ordinärer, schräger Gangster-Rap, Huldigung und Parodie auf das Genre zugleich.

Auch sein Fresh Familee-Kollege Jörg macht noch als "Plattenpabst Jöak" erfolgreich Musik. Nur die beiden anderen im Bunde - der Mazedonier Suli und der Marokkaner Higgi - sind von der Bildfläche verschwunden, haben geheiratet und gehen heute anderen Jobs nach.

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