Millimeter machen den Unterschied

Der Eisstockclub Wülfrath spielt in der Bundesliga und hat dennoch Sorgen in puncto Nachwuchs. Das Spiel stammt aus den Alpen. Es erinnert an Curling und Boule.

Millimeter machen den Unterschied
Foto: Ulrich Bangert

Wülfrath. Was machen eigentlich Eisstock-Spieler im Sommer? Was für eine Frage — sie gehen ihrem Sport nach. Der wurde ganz früher zwar auf zugefrorenen Gewässern betrieben, aber längst gibt es Laufsohlen für die Eisstöcke, die sie auch über Asphalt oder Beton gleiten lassen. Oder eine Kunststoffbahn, wie sie beim Eisstockclub Wülfrath zum Einsatz kommt. Da kann die Sonne ruhig vom Himmel brennen.

Schon bevor man das Clubhaus an der Fliethe, ein Nurdachhaus im Stil dänischer Ferienhäuser, erreicht, ist von der Anlage dahinter ein Schurren und dann ein markantes Klocken zu hören. Die Männer dort tragen der sommerlichen Hitze angepasste Kleidung. Einer nach dem anderen greift zum Eisstock und schickt ihn auf die Reise zur ausgelegten Daube. Die sieht aus wie ein überdimensionaler Puck. Und wer ihr am nächsten kommt, erhält die meisten Punkte. Eisstockschießen ist mit dem Curling eng verwandt und erinnert ein wenig an Boule.

„Den Schwerpunkt hat der Sport im alpenländischen Raum. Da hat jedes Dorf seine Eisstockhalle. Das half gegen die Langeweile der langen Winter“, erzählt Ernst Silberleitner. Er ist selbst Österreicher, wohnt aber seit fast 30 Jahren in Wülfrath. Von Langeweile im Kalkstädter Sommer ist jedenfalls nichts zu spüren: Es wird gelacht, Zurufe schallen über die 30 Meter lange Bahn. „Ja gut, Nordrhein-Westfalen ist jetzt nicht der Brennpunkt des Sports“, sagt Silberleitner. Aber die Wülfrather hatten oft Grund genug zur Freude, wenn sie, etwa bei Deutschen Meisterschaften, bayrischen Teams Punkte abgenommen haben. „Da heißt es dann: ,Vorsicht, die Wülfrather kommen’“, sagt Arno Brücken, der Vorsitzende des Vereins.

Es gibt sogar Europa- und Weltmeisterschaften. Stockschießen wird auch in Australien, USA, Kanada, Afrika und Südamerika betrieben.

Inzwischen hat Patrick Fischer zum Eisstock gegriffen. Er spielt für Wülfrath in der Bundesliga und zeigt einen Kunstwurf: Der Stock schießt nicht auf seiner Lauffläche nach vorne, sondern dreht sich wie ein Rad über die Kante des Stockkörpers. Dabei trudelt er in einer Kurve in Richtung Daube. Silberleitner: „Das macht man, wenn man einen gegnerischen Stock nicht wegschießen will. So kommt man einfach darum herum.“ Wobei einfach bestimmt relativ ist.

In Wülfrath kam Eisstockschießen in den 70er-Jahren auf. Da hatte Alfred Kolberg diesen „Exoten-Sport“ aus seinem Urlaub in Bayern mitgebracht. Und bald war zu sehen, wie fröhliche Männer einen Wülfrather Parkplatz fegten, um eine saubere Bahn auf dem Asphalt zu haben für ihre neue Beschäftigung. Ein Parkplatz war dann auf die Dauer aber nicht genug. Besonders, nachdem die Sportler einen Verein gegründet hatten. So kam eins zum anderen, der Ankauf des Geländes, der Hausbau, die sportlichen Erfolge. Als Beispiel sei hier nur Hans Waltl genannt, der zweimal Europameister wurde. Ach ja, zurzeit führt Wülfrath die Bundesliga West an.

Einmal im Jahr veranstaltet der Verein offene Stadtmeisterschaften. Vier Spieler bilden eine Mannschaft, mehr als zehn Teams messen sich an der Fliethe. Brücken sagt: „Dazu Freunde und Verwandte, da ist dann ganz schön Trubel auf dem Gelände.“ Spannend findet Brücken seinen Sport, „weil es um Millimeter geht“. Und der Vorsitzende des Wülfrather Vereins legt Wert darauf, dass das kein Altherrensport sei. „Es gibt auch leichtere Stockvarianten. Und solche für Jugendliche“, stellt er fest. Mitstreiter können die Wülfrather Stockschützen gut gebrauchen. 17 Mitglieder hat der Verein derzeit. „Darunter keine Frauen, das tut mir leid.“ Zumindest die Bundesligamannschaft möchte der Club aufrecht erhalten. Und eine Jugendmannschaft. Es würde sich nicht nur sportlich lohnen. Brücken sagt: „Das macht einfach Spaß.“

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