Wülfrath Geschichte ohne gerechtes Ende

Wülfrath · Wilfried Josef Klein sprach vor Schülern vom Prozess gegen Gottfried Weise, den „Wilhelm Tell von Auschwitz“.

 Wilfried Josef Klein war Vorsitzender Richter im Prozess gegen Gottfried Weise.

Wilfried Josef Klein war Vorsitzender Richter im Prozess gegen Gottfried Weise.

Foto: Tanja Bamme

. Wilfried Josef Klein war Vorsitzender Richter am Landgericht Wuppertal. In einem Zeitzeugengespräch visualisierte der heutige Pensionär am vergangenen Freitag den Oberstufenschülern des Gymnasiums Wülfrath einen Prozess, dessen Angeklagter Gottfried Weise als „Wilhelm Tell von Auschwitz“ Bekanntheit erlangte.

Gottfried Weise wurde 1921 geboren, wuchs in einem christlich geprägten Elternhaus auf und trat 1937 in die Hitlerjugend ein. Der Ideologie des Nationalsozialismus folgend, fand sich Weise 1940 in der Waffen-SS wieder, verlor in Russland ein Auge und wurde aus dem aktiven Wehrdienst ausgemustert. Seine neuer Bestimmungsort: Das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Obwohl Gottfried Weise Aufseher in Auschwitz war, fand er sich nach Kriegsende in seinen Familienreihen wieder. Erst in den 80er Jahren wurden seine Taten publik.

Wilfried Josef Klein leitete den Prozess gegen den Angeklagten am Landesgericht Wuppertal. Gemeinsam mit zwei weiteren Richterkollegen und zwei Schöffen versuchte Klein auch nach Jahrzehnten, die Morde des Täters zu rekonstruieren. „Kein einfaches Unterfangen, denn die meisten geladenen Zeugen lebten mittlerweile nicht mehr in Deutschland und wollten deutschen Boden auch nicht mehr betreten.“ So fand sich Wilfried Josef Klein beispielsweise in Ungarn wieder, um eine Zeugin zur Aussage vor Gericht zu überzeugen. „Was nicht einfach war, sie bekam nämlich Drohbriefe aus Deutschland“, erinnerte sich Klein, der bis heute die Quelle dieser Schreiben nicht kennt. Nur mit Beharrlichkeit und Überredungsgeschick gelang es den Berufsrichtern, die Zeugin in den Wuppertaler Gerichtssaal zu bekommen. Sie und weitere Zeugen, wie etwa ein israelischer Mann, gaben der Schreckensherrschaft nach Jahrzehnten ein Gesicht.

Frage nach etwas zu essen war das Todesurteil für den Jungen

So schoss Gottfried Weise beispielsweise einem hungernden Jungen in den Kopf bei dem Versuch, eine Konservenbüchse von seinem Haupt zu schießen. „Das einzige Vergehen des Jungen war sein Hunger. Er fragte den gut gekleideten Aufseher nach Essen, das war sein Todesurteil“, fasst Klein die unbeschreiblichen Taten des Angeklagten zusammen. Zwei weitere Häftlinge, die sich nach akuten Misshandlungen zwischen Güterwagons versteckten, brachte Gottfried Weise ebenfalls um. Ein weiteres Opfer musste nach einem Weckruf, dem er nicht schnell genug Folge leistete, sein Leben lassen.

Wie komplex das Verfahren war, versuchte auch Norbert Koep (ebenfalls beauftragter Richter des Weise-Prozesses) den Jugendlichen zu vermitteln. Er selbst spricht heute von einer schrecklichen Zeit, die er nur mit Hilfe seiner Frau überstanden hat. „Ich lag des Öfteren nachts wach und hatte Tränen in den Augen.“

Nur was im Gerichtssaal zur Sprache kam, konnte schlussendlich auch verhandelt werden. Ein Grund für die Berufsrichter, die sich zu keiner Zeit irgendwelche Emotionen ansehen lassen durften, die breite Öffentlichkeit in den Gerichtssaal zu holen. „Es waren ganze Schulklassen bei den Prozesstagen dabei. Das Interesse der Bevölkerung war geweckt“, weiß Klein, der auch um die Familiensituation des Täters wusste. „Sein Sohn, damals als Studienrat beschäftigt, appellierte an seine Kollegen, dem Vater zu unterstützen. Dieser Brief gelang in die Öffentlichkeit, es gab passende Reaktionen von Seiten der Kollegen“, erinnert sich der damals Vorsitzende Richter. Dass Weises Sohn hingegen seinen Vater nie in der Position des Täters, sondern stets als Familienvater gekannt hat, will er diesem Hilfeversuch nicht absprechen.

Einen Tag vor Bekanntmachung des Urteils kam dem Angeklagten Gottfried Weise das Urteilsdokument zu, dieser floh kurzerhand in die Schweiz. Ein Herzleiden führte letztlich zur Auslieferung. „Ein Arzt aus der Schweiz erkannte Weise und übergab ihn der Polizei. Hier kam er in Haft“, so Klein, der den Schülern allerdings kein gerechtes Ende präsentieren konnte. „Ein Krebsleiden hat letztlich zu einer Begnadigung geführt. Insgesamt befand sich Gottfried Weise vermutlich rund drei Jahre in Haft. Mehr nicht.“ Abschließend appellierten die beiden Richter an die Jugendlichen, einen respektvollen Umgang miteinander zu pflegen. „Respekt beginnt bereits auf dem Schulhof“, mahnten die beiden Zeitzeugen.

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