Eine Bahnfahrt mit Hindernissen

Ein paar Jahre schon ist Michael Sindt nicht mehr mit der S-Bahn gefahren, doch die Fahrt mit der S 9 am Donnerstag vergangener Woche wird ihm noch lange im Gedächtnis bleiben. Mit seinem Sohn Noah wollte der Nevigeser vom Bahnhof Rosenhügel nach Essen fahren – eine gemeinsame Probefahrt zur Erkundung der Wegstrecke, da der 14-Jährige in Kürze ein Praktikum in Essen beginnt, erläutert Sindt. Er parkte vor dem S-Bahnhof, kaufte am Automaten vor dem Gleis nach Wuppertal eine Mehrfahrtenkarte für sich – der Junior fährt mit Schokoticket –, und man begab sich auf die andere Seite des Bahnhofes zum Gleis in Richtung Essen.

Beim Betreten des sogar pünktlichen Zuges sieht Michael Sindt keinen Entwerter und spricht sofort zwei Abellio-Mitarbeiter an der Waggontür an: „Wo ist denn der Automat zum Abstempeln?“ Die Antwort gibt der Kunde so wieder: „Neben dem Fahrkartenautomaten“, also auf der anderen Seite des Bahnhofs. Die Frage, ob der Weg hin und zurück bis zur Abfahrt zu schaffen sei, hätten die Mitarbeiter lapidar mit „Nö“ beantwortet. „Ich habe dann vorgeschlagen, dass ich bis Neviges bei ihnen stehenbleibe und schnell dort die Fahrkarte abstempele“, berichtet der 41-Jährige. Dann müsse er 60 Euro zahlen, weil er ohne gültiges Ticket unterwegs sei, habe es geheißen.

Das Ende vom Lied: Die beiden verhinderten Passagiere stiegen wieder aus, marschierten den Bahnsteig entlang, durch die Unterführung und am Wuppertaler Gleis entlang zurück zum Fahrkartenautomaten, stempelten Sindts Fahrkarte ab und gingen den Weg dann noch einmal, um wieder auf den Bahnsteig nach Essen zu kommen.

Dort hatte das Duo eine halbe Stunde Zeit, auf den nächsten Zug zu warten und über die Tücken des ÖPNV zu sinnieren: „Wieso gibt es in Zügen keine Entwerter mehr?“, fragt sich Sindt – die hängen doch auch in jedem Linienbus. Vor allem: Warum steht am Bahnhof Rosenhügel nur ein einziger Entwerter am Bahnsteig nach Wuppertal? „Unter diesen Umständen ist es völlig sinnfrei, bei Fahrten nach Essen den Parkplatz auf der Rückseite des Bahnhofs unmittelbar am Gleis zu nutzen, wenn ich zum Entwerten doch wieder einmal um den ganzen Bahnhof und zurücklaufen muss“ – was Sindt kopfschüttelnd mit „Servicewüste Deutschland“ kommentiert: Da habe man doch gar keine Lust, auf die Öffentlichen umzusteigen. Im Nachhinein fühlte sich der Nevigeser außerdem ziemlich verschaukelt: Seine Frau berichtete ihm später, dass sie vor ein paar Monaten in Essen noch mit knapper Not die S-Bahn erreicht habe und ein Abellio-Mitarbeiter ihr Ticket auf Anfrage umgehend mit einem Handgerät gestempelt habe: „Wäre das bei mir nicht auch möglich gewesen?“, fragt Michael Sindt.

Die WZ hakte bei Abellio nach und wollte von dem Verkehrsunternehmen wissen, ob seine Mitarbeiter korrekt gehandelt haben und warum es in den Zügen keine Fahrkarten-Entwerter gibt. „Unser Personal hat sich in dem geschilderten Fall konform verhalten. Ein nicht abgestempeltes Ticket ist keine gültige Fahrtberechtigung“, teilte Julia Limia y Campos, Leiterin Kommunikation und Marketing, mit. Und: „Was das Thema Ausstattung der Fahrzeuge betrifft, möchte ich Sie bitten, sich an meine Kollegen vom Verkehrsverbund Rhein-Ruhr zu wenden. Als Eigentümer der SBRR-Fahrzeuge können die Ihnen sicher weiterhelfen.“

Sabine Tkatzig, die Pressesprecherin des Verkehrsverbunds mit Sitz in Gelsenkirchen, ließ mit dem Thema konfrontiert wissen: „Im VRR gibt es in den RE-Bahnen, RB-Bahnen und der S-Bahn, grundsätzlich keine Entwerter und Automaten. Dies hängt unter anderem auch mit den Fahrzeuggrößen zusammen. Im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) erachten wir einen Vertrieb außerhalb der Fahrzeuge für sinnvoller. Direkt neben dem Automaten befindet sich ein Entwerter, in dem der Kunde das Ticket abstempeln kann.“