Die wollen nicht nur spielen

Vor dem Schloss Hardenberg leben die Menschen für vier Tage in einer anderen Zeit. Ein Rundgang durch das Mittelalter.

Die wollen nicht nur spielen
Foto: Simone Bahrmann

Neviges. Zwischen den Zelten des Mittelaltermarktes riecht es nach Holzkohle. Kinder spielen mit Holzschwertern, die Arbeiter schmieden, drechseln oder weben und die Schotten trinken irgendwo ihren Whisky. Vor dem Schloss Hardenberg wird kein Mittelalter gespielt, hier wird es an vier Tagen gelebt.

Ungern lassen die Beteiligten des Marktes die Illusion platzen. Handys gehören versteckt, Limoflaschen verschwinden im Stoffbeutel. Organisatorin Andrea Hofer trägt keltische Tracht und bleibt die meiste Zeit ihrer Rolle treu — wenn nicht gerade der Stempel für die Kasse gesucht wird oder sich ähnliche Aufgaben auftun. „Das ist aber kein Problem für mich“, sagt sie. „An diesen Tagen hat mein Hirn einfach zwei Hälften.“

Ebenfalls zum Organisationsteam gehört Michael Jarosch, der im Schottenrock in seinem Zelt sitzt. „Der Schotte ist dafür bekannt, dass er trinkt und laut ist. Die Rolle ist toll“, sagt er und lacht. Neben den Schotten lassen sich die Zeltbewohner, die aus ganz Deutschland und sogar Schweden angereist sind, auch noch in andere Lager einteilen. Da wären Frühmittelalter-, Hochmittelalter-, Spätmittelalter- und Vikinger-Lager. Die unterschiedlichen Phasen des Mittelalters spiegeln sich in der Kleidung der Akteure wieder. „Je später im Mittelalter desto aufwendiger“, erklärt Andrea Hofer. Die armen Vertreter des Spätmittelalters — kurz „Spämis“ — seien teilweise mit ihrer Kleidung so kompliziert verschnürt, dass der Gang auf die Toilette zu einer langwierigen Prozedur werden kann. „Da lobe ich mir meinen Schottenrock“, sagt Jarosch.

Doch Pragmatik zählt auf dem Mittelaltermarkt, der in Neviges einmal im Frühjahr und einmal im Winter seine Zelte aufschlägt, eigentlich wenig. Jarosch: „Im Gegensatz zur Fantasy-Szene sind wir sehr darauf bedacht, alles geschichtsgetreu darzustellen.

Einen großen Teil des Marktes nimmt daher das alte Handwerk ein. Je exotischer, desto besser. Der Tischlermeister Steffen Wittke hat in 14 Stunden eine mittelalterliche Drechselbank nachgebaut und zieht jetzt die Blicke auf sich. Gerade lässt er aus Ästen in mühsamer Fußarbeit kleine Holzlöffel entstehen. „Da kriegt man ein Gefühl dafür, wie sich die alten Bauern damals gequält haben“, sagt er.

Thomas Isenberg hat ein Vierteljahr gebraucht, bis er die Kunst des Brettchenwebens erlernt hat, eine alte Technik, die mit der Erfindung des Webstuhls ausgestorben ist, jedoch nicht vergessen. „Die lässt sich über das Internet erlenen“, verrät Isenberg.

Den Akteuren geht es bei ihren Vorführungen nicht nur um den Unterhaltungswert. Thorsten Prang, der nebenan Jung und Alt mit seiner Schmiedekunst fasziniert, erklärt: „Es ist wichtig, dass diese Dinge durch uns weiter lebendig bleiben.“ Mit Vorliebe werden am Mittelaltermarkt Fragen beantwortet. Es gibt niemanden, der nicht gerne Auskunft zu Produktion und Geschichte seiner Waren gibt.

Hans-Jürgen Groß hat seine Nische in der Bronzegießerei gefunden. Bei ihm gibt es sogar einen authentischen „Römer-Q-Tip“ zu erwerben. Wer sich mit diesem kleinen Bronze-Kunstwerk wirklich die Ohren säubert, besucht wohl auch gerne die Badestube, wo man sich gemeinschaftlich in einem mit Wasser gefüllten Holzfass erfrischen kann. Authentischer geht es nicht — abgesehen vom Quietsche-Entchen.

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