Allein mit der Stille: Eine Stunde in der Kirche

Ohne andere Besucher in dem Gotteshaus ist viel Raum zum Nachdenken, Fühlen und Erinnern.

Wülfrath. Vielleicht beginnt Stille mit dem Druck, der Erwartung, jetzt muss es ja still sein. Sofort. Es ist ja auch ruhig, keiner spricht, also ist eigentlich Ruhe. Doch so einfach ist das nicht. Wer auf dem knirschenden Kies über die Lindenallee vor der evangelischen Kirche in Düssel auf den Eingang zusteuert, die Kirche betritt, ein paar Meter weiter nach links einschwenkt, sich auf die grau lackierten Bänke setzt, badet noch lange nicht in Stille.

Das erste, was man hört, wenn man allein in der Stille des Gotteshauses sitzt, ist Ohrenrauschen. Es sind die letzten akustischen Krümel des Alltags draußen vor der Tür. Nur ganz langsam legt sich die Stille um einen. Hände falten, aufschauen, tief einatmen. Gerade noch den Einkauf in der Fliethe, ein Telefongespräch mit einem Freund, gerade noch mitgelitten, weil sich die Tochter die Hand gequetscht hat.

Nun Ruhe, nur noch Ruhe in dem nüchternen Raum, ungewohnt und fremd, es ist ein hoher, fast leerer Innenraum, der eine Atmosphäre von Klarheit ausstrahlt. Das Knarzen der Holzbänke: Es gibt Dinge, die sind überall auf der Welt gleich. Gerade noch knarrte der Holzboden zwischen den Bankreihen schreiend laut. Nun stellt sich Stille langsam ein.

Stille kann man wirklich hören. Sie ist erhaben, wunderschön, wohltuend. Oft hört man sie im Urlaub, in den Bergen zum Beispiel oder am menschenleeren Strand. Aber Stille-Oasen gibt es mehr als man denkt. Es ist bei der Suche nach der Stille aber wie beim Angeln: Man muss die Plätze wissen.

Die Kirche in Düssel ist so einer. Diese hellen, puristischen Kirchenschiffe, ohne Klimbim, also Stein gewordener Anti-Barock. Es ist nicht dunkel, auch weil der Stern von Bethlehem über dem Altar leuchtet.

Lauschen, horchen, das gehört zu den besonderen Erlebnissen einer Oase der Stille. Gedanken wandern. Allein mit der Stille, die wie ein rettendes Ufer für die Seele ist. Das erlöst von den vermeintlichen Zwängen des Alltags. Nebenan liegt ein rotes Gesangbuch. Plötzlich möchte man singen, allein in der Kirche, seine Stimme ganz allein im Volumen der Kirche hören — auch wenn man gar nicht singen kann.

Singen, beten, sich selbst etwas erzählen. Wenn Herzen wirklich Ballast verlieren, dann hier und jetzt. Erinnerungen werden wach. An früher, als man in ebenso knarrenden Holzbänken einer evangelischen Kirche im Ruhrgebiet saß, das Vater Unser betete und ganz ergriffen war von der Gemeinschaft, die sich in einer Kirche versammelte.

Wenn der Klingelbeutel durch die Reihen wanderte und man ganz hektisch die Münzen festhielt, um sie möglichst unauffällig hineinzuwerfen. Nur Mutter fehlt, die einen früher ermahnte, nicht zu zappeln, wenn der Pfarrer noch nicht auf die Zielgerade seiner Predigt eingebogen war. Der Geruch im Kirchenschiff, die gleichen gekelkten sandfarbenen Wände, die gleiche heimelige Atmosphäre, obwohl es bitterkalt ist. Es kommt einem alles wieder in den Sinn, in die Nase, in die Ohren. Wenn man allein mit sich eine Stunde in der Kirche in Düssel ist.

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