Velbert: Der Junge, der Kassandra quälte

Prozess: Der 15-Jährige, der wegen versuchten Mordes verurteilt wurde, sagte Dienstag als Zeuge in einem anderen Verfahren aus.

Velbert. Das alte Landgerichtsgebäude am Wuppertaler Eiland ist dem 15-Jährigen Velberter bestens bekannt. Nur wenige Meter von Saal 101, in dem er Dienstagmorgen als Zeuge aussagen musste, saß er im April auf der Anklagebank. Von der Öffentlichkeit abgeschirmt, hatte er damals über die ungeheuerliche Tat berichtet, wie er die neunjährigen Kassandra aus Velbert-Neviges im September 2009 erst schwer misshandelt und sie dann in einen Kanalschacht geworfen hatte.

Dienstagmorgen schützt den kleinen, schmächtigen Jungen mit dem kindlichen Gesicht niemand mehr. Er soll als Zeuge in einem Berufungsverfahren aussagen, in dem sich ein 37-Jähriger wegen versuchter Nötigung verantworten muss. Laut Anklage soll der vielfach vorbestrafte HartzIV-Empfänger im Dezember 2008 zwei damals 13-jährigen Mädchen Sekt und Feuerwerkskörper geschenkt haben. Weil der 15-Jährige bei diesem Vorfall dabei war, soll der 37-Jährige ihm am nächsten Tag gedroht haben, nicht zur Polizei zu gehen. "Sonst würden die Mädchen krankenhausreif geschlagen und deren Eltern einen Kopf kürzer gemacht."

Um diesen Anruf und nichts weiter ging es im gestrigen Prozess. Wegen dieses Vorwurfs hatte das Amtsgericht Velbert den 37-Jährigen im Dezember 2009 zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt. Doch der 37-Jährige - er ist unter anderem wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen vorbestraft - wies die Vorwürfe von sich und legte Berufung ein. Er habe zu keiner Zeit einem Kind gedroht, wiederholte er gestern vor Gericht seine Aussage.

Statt dessen habe er eine Liebesbeziehung zu dem damals gerade 14-Jährigen gehabt. "Das war für Jedermann in Neviges sichtbar", sagt der 37-Jährige und erzählt von Zärtlichkeiten, die man in der Öffentlichkeit ausgetauscht habe. "Er hat eine Person gesucht, die ihn beschützt", so der Angeklagte weiter, und er habe ihm von den vielen Problemen mit Eltern und in der Schule erzählt.

Von einer echten Beziehung will der 15-Jährige, der im Anschluss als Zeuge vernommen wurde, nicht sprechen. Langsam, mit tiefer Stimme sagt er, dass er seinen gut 20 Jahre älteren Freund nur ausgenutzt habe, damit dieser ihm Alkohol und Zigaretten besorgt. Dazu habe er ihm Liebe vorgespielt. Ein schlechtes Gewissen habe er deswegen nicht gehabt, bis heute nicht. Eine "richtige Beziehung" habe er zu dieser Zeit Ende 2008 aber auch gehabt, gibt der 15-Jährige schließlich zu. Mit einem Einzelhändler aus Velbert - dem Vernehmen nach ist der Mann bereits Anfang 50. Die Eltern wussten von alldem nichts.

Als diese jedoch 2008 Wind von der Liebelei mit dem 37-Jährigen bekamen, habe er aus Angst gesagt, dass dieser ihn sexuell genötigt und schließlich gedroht habe. Es kam zur Anklage und zum Prozess. Dass er den Drohanruf des Angeklagten komplett erfunden habe, gab der 15-Jährige gestern nicht zu. Nach diversen Zeugensaussagen ließ sich dieser Vorwurf jedoch nicht beweisen. Das Gericht sprach den 37-Jährigen frei.

"Es hängt viel mehr an diesem Fall, als worüber wir hier verhandeln", sagte die Richterin am Ende. Vielleicht wird auf den 37-Jährigen nun eine neue Anklage zukommen.

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