Wülfrath: Rasierschaum macht die Inschrift lesbar

Gesellschaft: Zum fünften Mal stellte Pastor Rex mit Jugendlichen einen jüdischen Friedhof wieder her – diesmal in Talsi/Lettland.

Wülfrath. Unter Erde und Gestrüpp liegt die Vergangenheit. Seit Jahren vergessen. 16 Leute wollen sie wieder ausgraben, kenntlich machen und würdig zeigen. Zum fünften Mal haben sich Pastor Klaus Peter Rex und Reda El Sharif zu einem Workcamp nach Lettland aufgemacht, um einen jüdischen Friedhof herzurichten. Am Ende ihres Sommer-Einsatzes in Talsi haben sie 168 Grabsteine dokumentiert. "Und es sind noch mindestens 30 Steine dort", sagt Rex, der daher davon ausgeht, dass 2010 an der Ostsee weitergearbeitet wird.

Unterholz rausreißen, Bäume fällen, loses Holz wegtragen - so fängt jeder Friedhofseinsatz an. "Dabei bekommen wir schon einen ersten Eindruck von der eigentlichen Arbeit: In welchem Zustand sind die Gräber und vor allen Dingen die Grabsteine", sagt Rex. In Talsi stellt sich schnell heraus, dass "fast alle Grabsteine mit Sockel lose sind und zu unserer Sicherheit erstmal flachgelegt werden müssen. Wir werden eine ganze Menge Zement brauchen", notiert Rex nach dem ersten Tag ins Tagebuch. Eine Einschätzung, die sich bestätigen sollte.

Vermutlich im Jahr 1951 wurde zuletzt ein Jude auf dem Friedhof beigesetzt. Seither ist der Friedhof dem Verfall preisgegeben, auch wenn Rex und Co - darunter auch einige Wülfrather Schüler - Spuren finden, die darauf hinweisen, dass die ein oder andere Grabstelle zumindest übergangsweise gepflegt wurde. Ein Grablicht - vielleicht ein Jahr alt - deutet darauf hin.

Die Wiederherstellung eines jüdischen Friedhofs versteht Pastor Rex in erster Linie nicht als Sanierung, sondern vor allen Dingen auch als wissenschaftliche Tätigkeit. Umso mehr Wert wird auf die Dokumentation gelegt. Im Rahmen der vergangenen Workcamps - bei denen wurden drei Friedhöfe bearbeitet - hat die Gruppe ihre Technik verfeinert, um die Inschriften der Grabsteine les- und dokumentierbar zu machen. Rex: "Wir setzen Rasierschaum ein."

Ein Zufall führte in den Anfangsjahren zu diesem Kosmetik-Einsatz. Nach den Jahrzehnten waren die Inschriften kaum zu erkennen. Verwitterung, Dreck, Moos - Buchstaben und Zeichen sind oft nur noch zu erahnen. Zunächst wurde überlegt, feinen Sand in die Oberfläche einzureiben. "Das hat sich als nicht sinnvoll herausgestellt, weil die Konturen nicht deutlich werden", erinnert sich Rex. Der Vorschlag eines Jugendlichen, Sahne aufzusprühen, wurde aus ethischen Gründen verworfen - es war aber die Initialzündung.

"Seither sprühen wir Rasierschaum auf den Grabstein, schaben diesen ab und ein Rest verbleibt in den Inschriften", skizziert Rex das Vorgehen. Dann habe man noch einige Minuten Zeit, den Grabstein für die Dokumentation zu fotografieren. Es sei erstaunlich, wie gut der Rasierschaum manche Schriften wieder hervorhole.

Der Einsatz in Talsi hält für das Team einige Überraschungen bereit: "Es fällt eine große Formvielfalt bei den Steinen auf, wie wir sie auf keinem der bisherigen Friedhöfe gefunden haben", ist Rex’ Tagebuch zu entnehmen. An einem Grabstein wird eine Granate entdeckt. Die Arbeiten müssen eingestellt werden. Die Aufregung ist groß. Die Polizei wird alarmiert. "Sie geht damit sorgloser um als wir: Der Fund wird in der Hand in den Polizeiwagen getragen", berichtet Rex.

Mit "einem Gefühl der Zufriedenheit", so Rex zur WZ, könne das Ende des Zehn-Tages-Einsatzes beschrieben werden. Er schaut aber schon weiter. "Wenn wir nächstes Jahr wiederkommen, gibt es noch genug zu tun."

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