Wülfrath: Porträt - Vom Glück, Konzerte zu lesen

In Bonn hat die Wülfratherin Anna Feichtinger zwischen Musikdarbietungen das Wort.

Wülfrath. "Die klassische Musik lässt mich nie wieder los. Sie vermittelt mir einfach ein Glücksgefühl, das ich gar nicht beschreiben kann." Wenn Anna Feichtinger von ihrem größten Hobby spricht, fehlen ihr manchmal die Worte, um auszudrücken, was es für sie bedeutet. Dabei erlebt die 15-Jährige die Klassik auf ganz ungewöhnliche Weise: Zwar singt sie auch im Chor. Doch in erster Linie liest sie - und zwar Konzerte.

Durch ihre Mutter Sonja, selbst begeisterte Chorsängerin, hat sie vor vielen Jahren Thomas Honickel kennengelernt, künstlerischer Leiter des Jugendprojektes "Kid’s Klassik" in der historischen Stadthalle Wuppertal. Durch ihn und sein Projekt hat die junge Wülfratherin das Chorsingen und Konzertelesen für sich entdeckt. Seit Thomas Honickel im Sommer 2008 als erster Hauptamtlicher Konzertpädagoge in Nordrhein-Westfalen zum Beethoven Orchester Bonn berufen wurde, ist die zierliche Brünette auch dort im Opernhaus "zu Hause".

"Bobbys Klassik" - so der Titel des konzertpädagogischen Programms in Bonn. "Klassische Musik wird kindgerecht aufgearbeitet, um sie den Kindern näher zu bringen", erklärt Anna. Honickel schreibt die Stücke so um, dass die rein musikalischen Teile - gespielt vom Beethovenorchester - immer wieder durch szenische Aufführungen und Lesungen von Kindern und Jugendlichen unterbrochen werden.

So wird beispielsweise das Leben und Wirken von Felix Mendelssohn Bartholdy nicht nur durch sein Werk erzählt. In vielen kleinen Szenen wird zudem Mendelssohns Beziehung zu seiner Schwester deutlich. Anna Feichtinger ist dabei die Erzählerin. "Und nicht immer sind nur die Kinder überrascht. Oft lernen auch die Erwachsenen etwas dabei", erklärt die Gymnasiastin. Nach dem Stück weiß man zum Beispiel, dass der allen bekannte "Hochzeitsmarsch" aus Mendelssohns musikalischer Bearbeitung aus Shakespeares Sommernachtstraum stammt.

Mit acht Jahren hat Anna Feichtinger ihr erstes Konzert gelesen. Wie viele es bis jetzt insgesamt sind, kann sie gar nicht mehr zählen - eine Reise durch die "Jahreszeiten" von Vivaldi, das "Weihnachts-Oratorium" von Bach, die "Die Zauberflöte" von Mozart und zahlreiche Stücke mehr, hat sie schon auf der Bühne erzählt und gesungen.

Bei jeder Aufführung muss sie vor 1200 Besucher auf die Bühne. Wo andere kurz vor einem Nervenzusammenbruch wären, ist Anna ganz locker. "Sie ist schon eine kleine Rampensau", sagt die Mutter lachend. Auch wenn etwas nicht nach Plan läuft, behält sie einen kühlen Kopf. "Einmal hat das Orchester angefangen zu spielen, obwohl ich vorher noch einen erzählerischen Teil gehabt hätte. Dann musste ich schnell die Erzählung so kürzen und verändern, dass ich alles Wichtige in meinem nächsten Lesestück sagen konnte", so Anna.

"Bobbys Klassik" besteht aus keinem festen Ensemble. Immer wieder können interessierte Kinder als Schauspieler oder im Chor an einem Projekt mitwirken. "Nur die Musiker, das sind immer Profis aus dem Beethoven-Orchester", sagt Anna. Sie bekommt sogar für jedes Projekt eine Gage. "Das ist wie ein Job auf dem Silbertablett", so die Mutter. Aber: Anna arbeit ist in diesem Fall aus Leidenschaft: "Das Geld ist ein angenehmer Nebeneffekt. Das spare ich für den Führerschein." Zu den zahlreichen Proben und Konzerten nach Bonn will sie aber dennoch weiter mit der Bahn fahren.

Eine Bühnenkarriere könnte sich Anna zwar schon vorstellen, bleibt aber realistisch: "Die Konkurrenz ist einfach so groß. Vielleicht studiere ich lieber auf Lehramt oder Physik." Übung mit Kindern hat sie ja, denn mit "Bobbys Klassik" besucht Anna, die in Wülfrath zum Gymnasium geht, auch Grundschulen und führt dort klassische Stücke in kindgerechter Form auf. Sicher ist: Auch als Lehrerin würde sie die Klassik sicher nicht mehr loslassen.

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