Handball „Das Derby interessiert doch niemanden mehr“

Das Gespräch führte Georg Amend · Interview Bastian Schlierkamp, Geschäftsführer der SG Ratingen, spricht über den Handball-Regionalligisten, die Rolle als FC Bayern der Liga und die Idee einer großen Spielgemeinschaft in der Stadt.

 In seinem Büro hat Geschäftsführer Bastian Schlierkamp auf einem Schaubild die sportliche Entwicklung der SG Ratingen stets vor Augen.

In seinem Büro hat Geschäftsführer Bastian Schlierkamp auf einem Schaubild die sportliche Entwicklung der SG Ratingen stets vor Augen.

Foto: Georg Amend

Im Industrieviertel An der Pönt in Ratingen-Breitscheid ist in den vergangenen Jahren viel gewachsen. In einem der neuen Bürogebäude sind auch die Spielgemeinschaft Ratingen und Interaktiv, der Trägerverein für den Freizeithandball des Klubs, untergebracht. Es sind helle Räume mit vielen Fenstern, die Verbindung zum Handball ist nahezu überall zu sehen mit laminierten Presse-Artikeln und Fotos der vergangenen Jahre. SG-Geschäftsführer Bastian Schlierkamp lächelt entspannt, krault Hund Bruno, schickt ihn aber aus dem Büro, weil es mit ihm doch etwas unruhig ist für ein ausführliches Gespräch.

Wie gut ist Ihr
Mazedonisch?

Bastian Schlierkamp: (lacht) Deutlich schlechter als das meiner Frau. Wir waren erst einmal da, und meine Frau hat im Gegensatz zu mir die grundlegenden Vokabeln gelernt und eine kleine Abschiedsrede gehalten.

Sie und Interaktiv haben Anfang des Monats zum zweiten Mal einen Lkw mit Schulmöbeln nach Struga geschickt. Wie kam es dazu?

Schlierkamp: Wir waren im Sommer mit unserer Familie da. Ace Jonovski (Trainer der Regionalliga-Handballer der SG, Anmerkung der Redaktion) und seine Familie hatten uns schon länger eingeladen, und da wir im Sommer häufiger eine Bulli-Tour machen, haben wir dieses Jahr in Mazedonien angefangen. Jonovskis haben uns alles gezeigt, uns eingeladen und gemacht und getan. Ein Freund von ihnen ist Baze „Backi“ Velickovski. Da haben wir am Strand gesessen, und irgendwann sagte Backi: „Eigentlich müsste man die ganzen Schulmöbel, die in Deutschland nicht gebraucht werden, mal hier rüberschicken.“ Wir arbeiten in Remscheid im Ganztag an einer Hauptschule, an der Ace und Backi auch tätig sind. Die haben irgendwann gesehen, dass der Hausmeister Möbel aussortiert, die nicht mehr gebraucht werden.

Wie ging es weiter?

Schlierkamp: Als ich aus Mazedonien zurückgekommen bin, habe ich mit unseren Standortleitern gesprochen – wir sind ja mittlerweile an 35 Schulen und haben ein Netzwerk. Dann habe ich Andreas Hohnke von Cargo Truck Direct, der auch fast alle unsere Heimspiele besucht, angesprochen, und er hat gesagt, dass er den ganzen Transport übernehmen kann. Die fahren zu allen Spendern und Schulen und sammeln alles ein. Den ersten Transport nach Mazedonien hat er auch übernommen, und dann hatten wir ein System. Denn es soll ja keine einmalige Aktion, sondern nachhaltig sein in unserer Wegwerf-­Gesellschaft.

Was ging alles nach Struga?

Schlierkamp: Tische, Stühle, Bänke, aber auch Basketballkörbe, Matten, Böcke, ganze Kabinentrakte für die Turnhallen. Im Nachgang waren wir noch mal da, haben den Bürgermeister getroffen und drei Schulen besichtigt um zu gucken, dass die Sachen gut angekommen sind. Die Leute sind unfassbar herzlich: Die haben selber fast nichts, die Kaufkraft ist bei einer vollen Stelle 300 Euro, aber die laden dich trotzdem immer ein – da kriegst du schon ein schlechtes Gewissen. Und es gibt immer noch einen wahnsinnigen Bedarf in den Schulen. Das Land hat kein Geld, die Städte haben auch keins. Unternehmer aus der Nachbarschaft haben zwar Schulen saniert, sie hatten aber keine Möbel – die haben wir mit dem zweiten Lkw hingeschickt. Und es gibt noch einen dritten. Backi selber kommt nicht aus Struga, sondern aus Skopje. Da soll der dritte Lkw hin. Die Ämter in Deutschland wissen jetzt, dass wir suchen, vor ein paar Tagen hat mich das Schulverwaltungsamt Düsseldorf angeschrieben, dass es jetzt wieder zwei Grundschulen hat, die aussortieren. Das ist Weltklasse.

Wird die SG Ratingen
dadurch in Mazedonien wahrgenommen?

Schlierkamp: Auf jeden Fall. Am Anfang haben die fast jeden Tag was über uns gebracht, auch über die Spiele. Handball ist da die Nummer eins. Die Leute sind völlig verrückt danach. Wir waren im Januar 2018 bei der Handball-WM in Zagreb, da ist Mazedonien in der Gruppe mit Deutschland Erster geworden. Nach dem Spiel gegen Deutschland sind wir in eine mazedonische Kneipe gegangen. Da war alles in Rot und Gelb, 500 Mazedonier waren da. Die Mannschaft kam auch, mit Kamerateams, VIP-Bereich, und so weiter. Ace war als Dienstältester der Nationalmannschaft einer, der eine Rede gehalten und sich bei den Leuten bedankt hat. Die Fans nehmen Kredite auf, um zur WM fahren zu können. Ace und Co. sind für die eine Riege mit Lukas Podolski und Basti Schweinsteiger bei uns. Das war sehr beeindruckend.

Hier trainiert Ace Jonovski also einen Regionalligisten, aber in seiner Heimat ist er ein Star?

Schlierkamp: Ja, Ace sollte zu dieser Saison auch deren Nationalmannschaft als Co-Trainer betreuen. Darauf hat er aber für uns und seine berufliche Perspektive als Lehrer verzichtet. Zuletzt haben ihm seine Landsleute noch einmal gesagt, dass er im Grunde der Erste ist, der mit dieser Spendenaktion etwas für das Land getan hat. Dass derjenige aus dem Sport kommt, ist eigentlich schon traurig. Das nächste Projekt, das wir vorhaben, ist eines zum Umgang mit Müll, denn dazu haben sie leider in Mazedonien noch gar kein Verhältnis. Das ist bitter in einem so schönen Land. Vielleicht kann man ihnen ein Recycling-System näherbringen, wenn man ein Schulprojekt startet. Das ist eine lose Idee, wir machen jetzt mit den Möbeln weiter, was erstmal mehr hilft, weil die Kinder dann in die Schule gehen können.

Warum engagiert sich ein Handballverein derart stark dort?

Schlierkamp: Einer unserer Grundwerte bei Interaktiv ist: mit Vorbildern arbeiten. Das ist da total der Fall. Gesundheitsorientierung und Bildung sind weitere Themen. Und wenn wir das eine mit dem anderen verbinden können – super. Eine Grundidee mit unseren Handballern war immer, dass die in den Schulen Handball-AG’s anbieten und den Kindern zeigen, dass es noch andere Sportarten als e-Sports gibt. Über die Hälfte unserer ersten Mannschaft arbeitet in Schulen oder Familien.

Warum hat die SG dann derzeit zum Beispiel keine A-Jugend?

Schlierkamp: Dafür gibt es verschiedene Gründe. Nach dem Aus der DJK Hösel mussten wir mit einer Senioren-Mannschaft in der untersten Liga starten. Die gibt es ja heute noch. Nach anderthalb Jahren waren wir mit 17 Teams schon der größte Verein in Ratingen. Es ist aber Freizeitsport. Eine Zeitung hat vor ein paar Wochen einen großen Artikel gebracht, dass die Handball-Basis bröckelt. Das merkt glaube ich jeder. Es ist im Jugendbereich extrem schwer, die Kinder zu begeistern. Wir hatten eine Zeit lang eine A-Jugend in der Bundesliga, aus der ja auch unsere Spieler Etienne Mensger oder Nils Thorben Schmidt herausgekommen sind und wo wir bezahlte Trainer hatten. Das frisst unfassbar viel Zeit und kostet Geld, aber von den Jugendlichen hat nie einer in Ratingen gewohnt. Wenn die in den Seniorenbereich gegangen sind, haben die immer einen Klub gefunden, der näher ist und mehr Geld zahlen kann. Deswegen haben wir einen Cut gemacht, nachdem die komplette A-Jugend in den Seniorenbereich bei uns übergegangen ist, wie Maik Ditzhaus oder Yannik Nitzschmann in unserer Ersten. Wir fangen daher jetzt ganz unten an und ziehen dann hoch.

Wie sieht da
das Konzept aus?

Schlierkamp: Ich habe gerade eben mit Benny Daser eine Kooperation im Jugendbereich mit dem Handball-Club Düsseldorf vereinbart. Das muss mit Leben gefüllt werden und für alle Sinn machen. Der HC Düsseldorf möchte im Jugendbereich leistungsmäßig unterwegs sein, seine erste Mannschaft soll die A-Jugend-Bundesliga sein. Im Seniorenbereich will der HC dann die Spieler dahin abgeben, wo sie wohnen. Es gibt welche aus Düsseldorf, dem Bergischen, aber eben auch aus Ratingen, und die werden ab sofort in den Trainingsbetrieb der Ersten Mannschaft der SG Ratingen eingebunden. Wir wollen den Jungs eine Perspektive bieten. Sie trainieren dann dreimal die Woche in der Jugend, aber eben auch einmal die Woche bei den Senioren. Da merkt man schnell, ob man den Sprung schafft. Zudem fangen wir im Jugendbereich alles auf, was nicht leistungsmäßig ist und bieten dann eher den Freizeitbereich an.

Wie passt das zu den Ambitionen der Ersten Mannschaft der SG? Vor fünf Jahren hieß es, Sie wollten es zum heutigen Zeitpunkt unter die ersten Fünf der Dritten Liga schaffen und junge, eigene Spieler in die Erste Mannschaft bringen...

Schlierkamp: Letzteres haben wir ja auch geschafft. Alle gucken immer auf die großen Namen, aber es sind eben auch fünf Eigengewächse da. Zugleich haben wir aber eine klare Positionierung der Mannschaft. Wir haben den Bereich drumherum extrem professionalisiert – das gefällt nicht jedem, weil es mit Aufwand und Erwartungshaltung verbunden ist, und da trennt sich dann die Spreu vom Weizen. Wir haben jetzt ein paar Verträge aufgelöst, das hat natürlich auch damit zu tun. Wir suchen nach einer bestimmten Klientel, und die B-Jugend des HC Düsseldorf, die in die Bundesliga aufsteigen soll, passt dazu. Eine Garantie gibt es nicht, aber die Chance ist mit den Rahmenbedingungen gegeben, dass du in Zukunft wieder Leute hast, die für unsere Erste interessant sind. In der Regionalliga musst du aber schon eine gewisse Qualität mitbringen, und wir wollen ja sicherlich auch mal höher spielen. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass es auch noch andere Teams bei uns gibt, für die wir ausbilden wollen.

Und warum hat es nicht
geklappt unter die ersten Fünf der Dritten Liga zu kommen?

Schlierkamp: Du kannst im Sport nicht alles planen, es kommt immer auf echte Typen an. In der Vorsaison kriegen wir im letzten Spiel den letzten Wurf gegen TuSEM Essen II nicht rein, in der Saison 2014 gewinnen wir das entscheidende Spiel gegen TuSEM II mit einem Tor. So läuft es halt. Und wir haben trotz der vier Aufstiege am Stück zwischen 2011 und 2014 auch ganz viele Rückschläge gehabt. Es ist nicht so, dass wir irgendetwas geschenkt kriegen. Wir waren seit unserer Gründung immer der FC Bayern der Liga.

An dem Image ist die SG ja nicht ganz unschuldig...

Schlierkamp: Das liegt ja an jedem selbst, wie er es findet. Wir sind halt keine Graue Maus, die in der Liga rumschwirrt. Es gab immer ganz besondere Transfers, und für die anderen war klar: Die Ratinger kriegen Dinge hin, die andere nicht hinkriegen. Die einen fanden es cool, die anderen nicht. Das ist bis heute so. Aber es waren eben echte Typen wie Anthony Pistolesi, Christian Rommelfanger, Marcel Müller, Arthur Giela, Ben Schütte oder Julian Pflugfelder. Es war aber viel Zufall dabei, und wir haben das damals mit extrem bescheidenen Mitteln gemacht. Wir haben das immer über eine berufliche Perspektive gelöst, Selbst ein Pascal Mahé hat bei zwei Sponsoren gearbeitet und Jugendmannschaften trainiert, und wir haben seiner Frau einen Job besorgt. So sind wir auf ein Paket gekommen, dass er in der Verbandsliga gespielt hat – und musste als ehemaliger Weltmeister durch die Halle Gothaer Straße robben und den Boden mit sauber machen. Es war mühselig, aber es ging, weil wir das Maximum rausgeholt haben.

Und das klappt
jetzt nicht mehr?

Schlierkamp: Als wir aus den wenigen Mitteln das Optimum rausgeholt haben. sind wir Kompromisse eingegangen. Unser Ex-Trainer Richard Ratka hat mal den Begriff geprägt: Resozialisierungsprojekt der Region. Das waren wir eine Zeit lang mit vielen Spielern, die woanders große Probleme hatten. Und das hat dann irgendwann mal geknallt. Der Plan hatte bis dahin ja funktioniert mit dem Aufstieg in die Dritte Liga und dort Platz acht und neun.

Ist die SG immer noch das Resozialisierungsprojekt der Region?

Schlierkamp: (lacht) Nein, eigentlich nicht. Wir haben die Rahmenbedingungen wahnsinnig professionalisiert, es werden sehr gute Gesamtpakete für die Spieler geschnürt, wir trainieren viermal die Woche, die Jungs müssen die Halle nicht mehr selber reinigen, wir haben ein sehr gutes Trainerteam und ein Backoffice das es selbst eine Liga höher so nicht gibt. Das sind alles Dinge, die sind top, aber wir haben nur überschaubaren Erfolg. Und das ärgert mich am meisten, weil ich als Geschäftsführer am Ende des Tages dafür verantwortlich bin.

Ist die SG ein Projekt oder ein Verein? Was ist die SG eigentlich?

Schlierkamp: Die SG Ratingen ist Teil von Interaktiv und damit einer Organisation, die unheimlich viele Facetten hat. Wir erreichen jede Woche immerhin 5000 Schüler mit unseren Bildungsangeboten und zahlreiche Familien, in denen wir vor Ort helfen. Unsere rund 400 pädagogischen Fachkräfte leben dabei Grundwerte, die wir eingangs angesprochen haben. Die SG Ratingen ist das Flaggschiff des Fachbereiches Sport und die Erste Mannschaft der Leuchtturm. Deswegen wird das weiter professionalisiert, damit dort die Vorbilder entwickelt werden, die dann in die anderen Fachbereiche gehen. So ist Kai Funke ja nicht nur Kreisläufer bei uns, sondern leitet auch den Fachbereich Soziales und arbeitet in der Wohngruppe, in der Kinder, die nicht mehr in ihren Familien leben können, betreut werden. Das sind die Sachen, für die wir stehen, und da nimmt die Erste Mannschaft einen wichtigen Part ein.

Der Ruf als „FC Bayern der Liga“ führt ja auch dazu, dass alle anderen Vereine gegen die SG besonders
motiviert sind...

Schlierkamp: Ja natürlich, aber provokant gesagt: Es ist ja nicht unser Interesse, dass wir möglichst einfach aufsteigen (lacht). Wir haben unsere Grundwerte, und die werden wir durchziehen. Von allem anderen haben wir nichts. Dann bräuchten wir diesen Aufwand nicht fahren und könnten unsere zweite als erste Mannschaft melden. Die Zweite hat auch Bock auf Leistung, macht das aber aus Spaß an der Freude und kriegt da nichts für. Dann könnten wir mit den anderen Ratinger Vereinen in der Verbandsliga spielen.

Von einem Derby
haben Sie nichts?

Schlierkamp: (überlegt) Nein. Das Derby interessiert doch keinen mehr wirklich. Als wir in die Verbandsliga aufgestiegen sind, waren 1000 Leute beim Derby SG Ratingen gegen TV Ratingen da. Aber jetzt mit unserer Zweiten gegen den TV – da waren vielleicht 80 Zuschauer da. Sinnvoller wäre in meinen Augen eine große Spielgemeinschaft, um die Ressourcen innerhalb der Stadt besser bündeln zu können. Ein Start könnte in der Jugendarbeit gemacht werden. Wenn wir insgesamt mehr Kinder für den Handball begeistern würden, sind auch wieder mehr Leute in der Halle. Vor zehn Jahren habe ich das allen Ratinger Vereinen bereits angeboten, bislang aber leider erfolglos. Die Tür steht von unserer Seite aus weiterhin offen.

Wie sieht es für die SG im Neuen Jahr aus? Nach vier Siegen in Folge: Geht noch was nach oben?

Schlierkamp: Klar – es hängt aber nur bedingt von uns ab. Wenn die über uns alle gewinnen, können wir uns auf den Kopf stellen und es wird nichts passieren. Fakt ist: Wir wollen einfach da sein, wenn jemand strauchelt. Der erste Schritt wäre das erste Meisterschaftsspiel im Januar beim Tabellenzweiten TV Korschenbroich, Den Rest haben wir selber verbockt: Von den neun Minuspunkten waren sicher einige unnötig. Wir haben auch das Ziel, den Verbandspokal zu gewinnen, nicht erreicht, was mich persönlich sehr geärgert hat. Deswegen werden wir auch zwei Wochen mehr trainieren als es ursprünglich geplant war. Und die Erste muss auch den Kreispokal am 5. Januar spielen.

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