Sehnsucht nach Lebensfreude

Renate Folger wird wegen Depressionen behandelt. Sie spricht mit großer Offenheit über ihre Krankheit.

Langenfeld. Renate Folger (Name von der Redaktion geändert) spricht leise, ihre Stimme ist kaum hörbar. In der einen Hand hält sie ein zerknülltes Taschentuch, in der anderen ein zerkratztes Foto, das sie vor acht Jahren zeigt. Eine schlanke Frau ist zu sehen, in Ledermontur auf einem Motorrad sitzend. Das Haar ist rot und schulterlang, das Lächeln mitreißend.

Beim Anblick des Fotos zittert das Kinn von Renate Folger, die wasserblauen Augen werden feucht. Das Haar der 58-Jährigen ist ergraut, sie trägt es heute kurz. Das Lächeln ist ihr abhanden gekommen. Im LVR-Klinikum in Langenfeld hofft sie auf einen Weg raus aus der Depression.

Renate Folger will von ihrem Leben erzählen, will gehört werden. „Ich bin für meine Krankheit sensibel geworden. Meiner Meinung nach müssten viel mehr Menschen in dieser Einrichtung hier sein“, sagt sie, ohne die Mundwinkel zu bewegen.

Sie habe lange gebraucht, um ihre Depression zu erkennen. Heute aber weiß sie, dass sich die ersten Anzeichen schon nach der Geburt ihres Sohnes vor 30 Jahren zeigten. „Ich war niedergeschlagen, überfordert. Mir wurde alles zu viel“, sagt die 58-Jährige. Damals sprach sie mit niemandem darüber. „Das Gefühl verging, mehrere Jahre hatte ich Ruhe.“

2001 merkte Renate Folger jedoch, dass etwas mit ihr nicht stimmt. Den Grund dafür sah sie in ihrer Arbeit. „Für mich hatte die Arbeit immer Vorrang. Dazu haben ich und mein Mann zwei Häuser gebaut“, sagt sie.

„Ich habe gearbeitet wie ein Mann. Ich war kurz vor dem Zusammenbruch.“ Ihre Hausärztin überwies sie zur Psychiaterin, die schickte sie in Kur. „Danach ging es besser, doch das Gefühl hielt nicht lange an.“ Wenige Monate später ging sie erneut in Kur.

„Dann stürzte ich ab.“ Die Befürchtung, ihr Ehemann könne sie über viele Jahre betrogen haben, bestätigte sich. „Ich stellte ihn im Beisein einer Ärztin zur Rede, und er gestand alles.“ Zu der Trauer, die Renate Folger fühlte, kam die Verzweiflung. „Eine pure Hoffnungslosigkeit.“ Sie trieb Renate Folger dazu, sich auf den Balkon zu stellen. Das Klinikpersonal konnte sie davon abhalten, sich das Leben zu nehmen.

Nach einem längeren Klinikaufenthalt 2002 kam sie wieder nach Hause. Es dauerte nicht lange, und sie verfiel in alte Verhaltensmuster. „Ich fühlte mich müde und kraftlos, hatte Angstzustände. Alltägliches wurde zur Last.“

Irgendwann schaffte es die 58-Jährige nicht mehr, Briefe zu öffnen oder ans Telefon zu gehen. „Ich ging kaum noch raus und wenn doch, versuchte ich niemandem zu begegnen, der mich fragen könnte, wie es mir geht.“

Auch ihre Kinder ließ sie nicht an sich heran. „Ich freute mich, wenn ich meine Kinder sah, aber merkte auch schnell, dass mir das alles zu viel wird.“ Auch heute noch fühle sich sehr einsam, gleichzeitig könne sie Nähe aber nicht ertragen. „Das ist ein furchtbarer Zwiespalt.“

Seit Januar ist Renate Folger wieder im LVR-Klinikum. „Hier fühle ich mich verstanden. Es ist immer jemand da zum Reden. Aber die Nähe erdrückt mich nicht.“

Gestern hat sie im Gespräch mit dem Personal gelacht, erinnert sie sich. „Es kommt hier zwar nicht an“, sagt sie und deutet auf ihre Brust. Aber es sei schon mal ein Anfang. „Ich warte darauf, morgens im Bett zu liegen und mich auf den Tag freuen zu können.“

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