Generationen leben wieder zusammen Wie aus Fremden Familie werden kann

Ratingen. · Mehrgenerationenhaus Alte Feuerwache will alle Generationen in einem Projekt vereinen.

 Das Mehrgenerationenhaus bietet ein Konzept, das Gemeinschaft auch jenseits der Familienbande lebt.

Das Mehrgenerationenhaus bietet ein Konzept, das Gemeinschaft auch jenseits der Familienbande lebt.

Foto: Achim Blazy (abz)

Vier Generationen unter einem Dach – das war früher keine Seltenheit. Heute sind die Familienmitglieder meist in alle Winde zerstreut, sehen sich nur sporadisch. Das Mehrgenerationenhaus in Ratingen bietet ein Konzept, das Gemeinschaft auch jenseits der Familienbande lebt. Eltern mit Kindern, Alleinerziehende, Paare und Singles sowie Senioren leben unter einem Dach. Auch ohne Blutsverwandtschaft soll hier eine große Familie entstehen.

Martin Tönnes von den Grünen und Ansprechpartner für das Projekt Wohnen Innovativ in Ratingen (WIR) kennt die Beweggründe, warum sich Menschen für das Mehrgenerationenhaus entscheiden: „Nach einem langen Prozess der Individualisierung suchen die Menschen wieder eine aktive und solidarische Nachbarschaft.“ Projektbetreuerin Birgit Pohlmann ergänzt: „Eine gute Nachbarschaft ist eine Grundsehnsucht.“

Kommunikation hat
einen hohen Stellenwert

Tönnes: „In vielen Nachbarschaften kümmert sich niemand mehr um den anderen, die Menschen leben in Anonymität und Einsamkeit.“ Doch eine gute Nachbarschaft entsteht nicht von allein. Sie braucht einen Schubs. Und den gibt das Mehrgenerationenprojekt. „Die Idee dahinter ist, Menschen zu finden, die zueinander passen“, erläutert Pohlmann. Birgit Pohlmann, die neben Ratingen schon viele weitere Projekte dieser Art auf den Weg gebracht hat, kennt die Motivation der Bewerber. „Ältere Menschen wünschen sich neue Impulse von jungen Leuten. Sei es, gemeinsam einen Kinobesuch zu planen, ins Theater zu gehen oder weitere Aktionen auf die Beine zu stellen.“ Einen besonders hohen Stellenwert hat die Kommunikation. „Diese Form des Zusammenlebens gibt Sicherheit, das Leben meistern zu können und Hilfe zu finden, wenn sie benötigt wird“, so die Projektbetreuerin.

Jungen Menschen kommt es darauf an „nicht nur Eltern zu sein, sondern auch Freunde zu haben. Die Gemeinschaft ermöglicht es ihnen, den Alltag einfacher und verlässlicher zu gestalten. Kinder wachsen in einem vertrauensvollen Umfeld auf.“ Viele Bewerber für das Wohnprojekt äußern den Wunsch, mehr am Leben teilhaben und sich und ihre Stärken in die Gemeinschaft einbringen zu wollen. Die Vorteile: Hilfe ist nur eine Tür weit entfernt, Aufgaben können geteilt werden, Mitbewohner lassen an ihren Erfahrungen und ihrem Wissen teilhaben, Kinderbetreuung kann gemeinsam geplant werden, Bewohner bekommen stets neue Impulse, Einsamkeit gibt es hier nicht. Ein mögliches Beispiel aus dem Alltag: Eine junge Mutter bietet der älteren Nachbarin an, ihr etwas vom Einkaufen mitzubringen. Diese hat in der Zwischenzeit ein Auge auf die Kinder und hilft bei den Hausaufgaben.

Aber: „Es geht nicht um Pflege“, so Tönnes. Vielmehr sollen Ältere die Chance erhalten, möglichst lange aktiv und selbstbestimmt in ihrer eigenen Wohnung zu bleiben und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Junge Menschen und Familien profitieren von der praktischen Unterstützung durch rüstige Senioren mit einem hohen Potenzial an Zeit Geduld und Verlässlichkeit.

Wichtiger Teil des Zusammenlebens ist die Gemeinschaft. Das fängt bereits bei der Planung an. Basis des Projekts ist eine Genossenschaft, in der jeder von Beginn an Mitspracherecht hat. „Das Mehrgenerationenhaus wird so mit fachlicher Unterstützung gemeinsam entwickelt“, so Tönnes. Die Mitglieder bestimmen selbst über die Zusammensetzung der Gruppe und suchen sich ihre direkten Nachbarn aus. Darüber hinaus haben sie ein hohes Maß an Mitsprachemöglichkeiten, was die individuelle Gestaltung der Wohnungen und Außenanlagen angeht.

Durch die gemeinsame Planung entsteht bereits vor dem Einzug eine Bindung zwischen den zukünftigen Nachbarn. „Die Interessenten bringen die Bereitschaft mit, sich gegenseitig kennenzulernen und haben schon etwas zusammen bewegt. Damit sinkt die Gefahr von Streit und Zank“, glaubt Tönnes. „Außerdem lernen sie im Entstehungsprozess Probleme genau zu definieren und gemeinsam Lösungen zu finden“, so Pohlmann.

Verordnen lässt sich Freundschaft jedoch nicht, lernte Birgit Pohlmann in bisherigen Projekten. „Kinder suchen sich die Bezugspersonen aus, zu denen sie einen besonderen Draht haben. Daraus sind jedoch auch schon intensive Freundschaften entstanden.“ Voraussetzung für diese Art der „Familie“ sind also ein gewisses Maß an Offenheit, Kompromissbereitschaft, Eigenverantwortung und Empathie. „Die Projekte dürfen nicht zu klein sein“, so Pohlmann. Denn natürlich mag nicht jeder jeden, aber je mehr Menschen beteiligt sind, desto größer die Chance, dass jeder Bewohner einen Seelenverwandten findet.

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