Händler: Eine krumme Marktgeschichte

Er fragt nach einer Banane und bekommt am Ende einen Marktstand vererbt. Heute ist Süleyman Sahin sein eigener Chef.

Ratingen. Ungeduld gibt es bei Süleyman Sahin nicht. Und wenn er merkt, dass die Leute zu murren beginnen, angesichts des Gedränges vor seinem Marktstand, hält er inne, sagt „Einen Moment bitte“ zu der Kundin, die er gerade bedient und strahlt die Menschen an: „Ich sehe, Sie brauchen eine Erfrischung. Was darf ich Ihnen anbieten? Probieren Sie bitte meine Aprikosen aus der Türkei. Es sind die Besten.“ Oder: „Wie wäre es mit einer Dattel? Bitte nehmen Sie!“ Und er verteilt das Obst mit vollen Händen an jeden, der vor seinem Stand wartet. Und für gewöhnlich beginnen sich die Menschen zu entspannen und bekommen eine Ahnung von der orientalischen Leichtigkeit des Handels.

Süleyman kommt aus Kirsehir, und es heißt, dass von dort die schlausten Händler kommen. Süleyman war elf, als er die Sommerzeit in Ratingen verbrachte. Im Winter schickten ihn die Eltern wieder zurück in die Schule in Anatolien. Er macht das heute genauso mit seinen Kindern, damit sie gutes Türkisch lernen.

Der Markt in Ratingen hatte Süleyman von Anfang an magisch angezogen. „Ich mochte schon als junger Menschen die Atmosphäre dort“, sagt er.

Eines Tages lernte er Heinz Janek kennen, der einen Gemüse-Obst-Marktstand hatte. „Was willst Du?“, fragte ihn der Markthändler einmal, als er den Jungen schon eine Weile beobachtet hatte, wie er sich immer auf dem Markt aufhielt. „Eine Banane,“ antwortete Süleyman. „Wenn Du mir hilfst, kannst Du dir so viele Bananen nehmen, wie du willst“ entgegnete Janek. Von da an kam Süleyman immer wieder. Jeden Sommer half er Heinz Janek an seinem Marktstand.

Die Jahre vergingen. Mit 16 Jahren blieb Süleyman für immer in Deutschland, und immer noch ging er an jedem Markttag zu Heinz Janek und lernte bei ihm alles, was man zur Führung eines Marktgeschäftes wissen muss. Eines Tages sagte der alte Markthändler: „Süleyman, Du bist fleißig, Du bist höflich. Du bist mir wie ein Sohn. Ich habe keine Kinder, und ich denke daran, mich zur Ruhe zu setzen. Ich werde dir meinen Marktstand vererben.“

Damit hatte Süleyman nicht gerechnet. „Ich hatte ja auch einen Beruf, war Dreher und habe am Stand nur ausgeholfen. Aber als Janek das so sagte, stand für mich fest, dass ich das Erbe annehmen werde, weil der Markt meine eigentliche Leidenschaft war.“

Und so wurde Süleyman sein eigener Chef. Heute ist er etwa 50 Jahre alt, ein grauer Löwe. Heinz Janek ist schon lange tot, aber Süleyman hat ihn nicht vergessen. „Er war eben wie ein Vater zu mir“, sagt er.

Süleyman verzaubert mit dem Spiel auf der Klaviatur orientalischer Weisheit und Höflichkeit. Und wenn eine alte Frau an seinem Stand vorbeihumpelt, hält er ihr eine Tüte voll Obst und Gemüse entgegen. „Die haben Sie letzte Woche vergessen mitzunehmen,“ sagte er zu ihr, und sie braucht erst gar nicht nach übrig gebliebenem Obst zu fragen. „Man muss den alten Menschen ihren Stolz lassen“, sagt Süleyman. Und wenn kleine Jungs mit gierigen Augen vorbeikommen, schenkt Süleyman ihnen eine Banane.

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