Der letzte Sturm aufs Rathaus

Die jecken Möhnen lassen dem Bürgermeister keine Chance. Sie haben die alte Betonburg ratzfatz im Griff.

Ratingen. „Was, noch 20 Minuten?“ Beim Verteidigen des Rathauses ließ es Bürgermeister Harald Birkenkamp zwischendurch doch etwas an Beharrlichkeit und Durchhaltewillen mangeln. Kein Wunder: Die Betonburg ist eh dem Untergang geweiht.

Das Stadtoberhaupt stand aber nicht als „Bob, der Baumeister“ verkleidet am großen Fenster zum Vorplatz. „Ich hab’ zwei linke Hände“, erklärte Birkenkamp, der in eine Matrosenkluft geschlüpft war und eine Mütze des Schnellbootgeschwaders trug.

Konfetti-Kanonen und Plastikbälle — mehr hatte er dem Narrenvolk nicht entgegenzusetzen. Dann entdeckte Birkenkamp eine Partisanentaktik: mit kleinen, aber gezielten Attacken die Aggressoren zermürben.

Der Rathaushüter nahm etliche Plastikbecher ins Visier, die die Möhnen auf Stehtischen platziert hatten. Als die jecken Weiber bemerkten, dass die Angriffe ihren Getränken galten, waren schon einige Becher getroffen worden.

Selina Dizdaric staunte. Die 18-jährige Obergefreite gehört zur Abordnung des Schnellbootes „Wiesel“, das mit der Stadt partnerschaftlich verbunden ist. Erstes Mal in Ratingen, erstes Mal richtiger rheinischer Karneval, erstes Mal Altbier — das sei „alles schon ganz gut“.

Da war es früh am Tage. Und Rosenmontag steht ja noch bevor, um das zurückhaltende Urteil in Euphorie zu verwandeln. Auch Korvettenkapitän Stefan Königsmark hatte etwas Nachholbedarf in Sachen Ausgelassenheit.

Dann ging alles ratzfatz: Alexander I. und Gaby III. rückten ohne Schirmherren aber mit umso mehr Möhnen an. Drei Schüsse aus der Böller-Marie, die auch die Marine-Jungs zusammenzucken ließen, weiße Fahne, Schlüsselübergabe, Bützchen: Das alte Rathaus war zum letzten Mal gestürmt worden.

Ja, aber wo und vor allem was wird denn im nächsten Jahr gestürmt? In den Fraktionszimmern der Parteien wurde bei Berliner Ballen und Schnittchen munter drauflos spekuliert. Der eine brachte das Bürgerhaus am Markt ins Spiel, das ja einst schon mal Rathaus war, ein anderer das Gebäude am Stadionring.

Ein Spaß für sich waren die Kostüme: Bundestagsabgeordneter Peter Beyer machte auf Bayer mit Lederhose. Als sein optischer Zwillingsbruder kam Ewald Vielhaus daher. Als Robin Hood war Sozialdezernent Rolf Steuwe unterwegs. Einen besonderen Gag hatten sich die Mitglieder des Karnevalsauschusses (KA) ausgedacht: Sie waren allesamt als Häuptlinge verkleidet — ein deutlicher Protest gegen die Äußerungen der Präsidenten von Rot-Wiss und Blau-Weiß. Die hatten jüngst kritisiert, dass es im KA zu viele Häuptlinge und zu wenig Indianer gebe.

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