Haan: Aus Liebe vom kalten Sibirien ins beschauliche Gruiten

Margarita Discher kam vor 13 Jahren von Sibirien nach Gruiten. Den Winter in der Heimat vermisst sie noch.

Gruiten. Minus 40 Grad Celsius und meterhoher Schnee - so sehen die Winter in Sibirien aus, die Margarita Discher so vermisst. Seit 13Jahren lebt die 40-Jährige schon in Gruiten, an das deutsche Winterwetter wird sie sich wohl nie gewöhnen. "Ich friere immer und war anfangs sehr oft erkältet. Hier ist es immer so feucht. In Sibirien haben wir eine trockene Kälte", sagt sie gut gelaunt.

Auswandern ist mittlerweile zum Trend geworden. Jeder Fernsehsender begleitet und dokumentiert den Weg von Familien in ein neues Leben im Ausland. Doch nach Tomsk ist wohl noch keiner gezogen. Dort begann 1995 die Reise von Margarita Discher, die in ihrem neuen Leben in Gruiten endete. Ihre Familie, ihre Freunde und ihren Job hat sie zurück gelassen, um ihrem Herzen und Olaf Discher in dessen Heimat zu folgen.

Auf einer Silvesterparty in Tomsk haben sich die beiden kennen gelernt. Die Stadt lag auf der Strecke, die Olaf Discher mit der transsibirischen Eisenbahn zurückgelegte. "Wodka trinkt man nicht alleine", war das erste, was Margarita ihrem Zukünftigen sagte. Also tranken sie zu zweit. Deutsch und Pädagogik hat Margarita in ihrer Heimatstadt studiert - Verständigungsschwierigkeiten gab es keine.

Doch Olaf Dischers Tage in Sibirien waren gezählt, und er musste zurück nach Gruiten. "Ab da haben wir uns immer gefaxt. Ich habe in einer Bank gearbeitet. Zu der Zeit gab es nur ein Faxgerät, das nur wenige Mitarbeiter bedienen durften. Ich musste meinen Kollegen immer mit Bier und Wodka bestechen, damit er mir meine Liebesbriefe gab" erinnert sie sich. Doch schnell wurde der hübschen Brünetten klar, dass Faxen nicht reicht. Drei Monate später war die Sehnsucht zu groß, und sie machte sich auf die zwölfstündige Reise nach Haan.

"Auch mein Sohn war hin und weg. Als er aus Sibirien kam, hat er gesagt ’Mama ich habe die Frau meines Lebens kennen gelernt’", erinnert sich erzählt Schwiegermutter Rosemarie Discher. Auch sie war von der zukünftigen Schwiegertochter schwer begeistert. "Sie war sofort unsere Tochter."

Schnell gehörte Margarita ganz zur Familie, arbeitet im Betrieb mit und lebt Tür an Tür mit den Schwiegereltern. Vor zehn Jahren kam Sohn Miron zur Welt. Zurück nach Sibirien will sie nicht mehr.

"Ich glaube nicht, dass eine deutsche Frau das alles so selbstverständlich fände, mit uns zu arbeiten und direkt neben uns zu wohnen", sagt Rosemarie Discher. Doch für die Schwiegertochter ist das normal, in Sibirien lebt die ganze Familie zusammen.

Genau erinnert sie sich an die erste Zeit in Deutschland, war beeindruckt vom Gesundheitssystem, hat zum ersten Mal eine Spülmaschine und einen Trockner bedient. "Früher in Sibirien haben wir solche Geräte immer als Wunder der feindlichen Technik bezeichnet", erzählt sie lachend. "Aber mittlerweile gibt es das alles natürlich auch in Tomsk."

Sich hier heimisch zu fühlen, war außerhalb der Familie nicht immer einfach, einige Rückschläge musste sie hinnehmen. "Ein Kunde hat mich einmal am Telefon auf Grund meines Akzents für die Putzfrau der Firma gehalten", erinnert sie sich. Und in der ersten Klasse im Zug ist sie von zwei Damen schon nach ihrer Fahrkarte gefragt worden. "Ich war so erschüttert, mir sind sofort die Tränen gekommen. Danach habe ich sechs Stunden im Speisewaagen gesessen, weil ich nicht wieder ins Abteil wollte", erzählt sie und man merkt, der Schock sitzt immer noch tief.

Auch wenn sie in Gruiten längst heimisch geworden ist, vermisst sie ihre Zwillingsschwester. Häufige Reisen zu ihrer Familie sind wegen der großen Distanz nicht möglich. Aber wenn die Sehnsucht zu groß wird, dann greift sie zu Büchern in ihrer Muttersprache, besucht Konzerte russischer Musiker oder schmeißt einfach eine typisch russische Party für die vielen neuen Freunde, die sie in Gruiten gewonnen hat.

"Zum Geburtstag hat mein Mann mir eine Satellitenschüssel geschenkt, jetzt kann ich auch russisches Fernsehen gucken", freut sie sich. Und ganz hat sie die Hoffnung auf richtigen Schnee auch in Haan noch nicht aufgegeben, der Winter fängt schließlich erst an...

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