Mettmann Zärtlichkeit im Rauschen des Lebens

Mettmann. „ · Die Lyrikerin Margot Gabriel lebte zusammen mit Ihrem Mann, Rudolf Christian Baisch, lange in Mettmann. Vor zehn Jahren ist sie gestorben. Margot Gabriel hinterließ ein umfangreiches Werk.

 Raimund Baisch hütet den lyrischen Nachlass seiner Mutter.

Raimund Baisch hütet den lyrischen Nachlass seiner Mutter.

Foto: Raimund Baisch/Mikko Schümmelfeder (1), Archiv (2)

Immer sind sie mir Haus, das sich dem Lärm dieser Zeit und eigener Unrast entrückt.“ Als Margot Gabriel diese Sätze zu Papier brachte, mag alles wie immer gewesen sein. Die Lyrikerin saß vor ihrer Schreibmaschine, die Durchschläge fein säuberlich eingespannt. Sie selbst dem Weltentrubel entrückt – versunken in all dem, was die Seele bewegt haben mag. Blättert man sich durch Gedichte und Haikus, so spürt man vor allem eines: Das bisweilen laute Rauschen des Lebens floss, durch die sensible Wahrnehmung der Dinge hindurch, hinein in eine ausdrucksstarke Sprache.

„Die formschönen und von großem Gefühl für Sprachwerte zeugenden Verse sind der Ausdruck einer heute selten gewordenen Art fraulichen Erlebens und Empfindens“, sagte einst der Wiener Dichter Wilhelm Szabo über Margot Gabriels Gedichte. Frauliches Erleben? Das würde heute gewiss einen Aufschrei hervorrufen.

Mit Blick hinter die schützende Fassade einer Generation

Was Szabo meinte, war wohl vor allem das empathische Durchdringen dessen, was ist. Hinzu kam auch, dass die 1950er und 60er Jahre durchzogen waren vom Leid, das die Kriegswirren bei den Überlebenden hinterlassen hatten. Nach außen meisterten sie das Leben, aber die Leichtigkeit war dahin – dieses Schicksal einte eine ganze Generation. Mutig waren diejenigen, die einen Blick hinter die schützende Fassade riskierten.

Schaut man nun auf das Leben von Margot Gabriel, so fragt man sich vor allem dies: Wie konnte es gelingen, eine Empfindsamkeit zu erhalten, die sie neben vielem anderen das hier schreiben ließ: „Tot, auf dem Dach meines Hauses lag eine Taube. Noch glänzte schön ihr zerstörtes Gefieder; doch auf dem Glas meines Fensters trockneten Inseln von Blut. Wie erschrak ich! Nun nisten im dunklen Geäst meiner Seele die heiteren Vögel des Himmels nicht mehr so gerne wie einst. Dein leichter, glücklicher Flug, dein zärtlicher Taumel im Winde, wilde Taube der Jugend, sind mir entschwunden – vorbei.“

Dass Margot Gabriel in ihrem Leben nichts mehr dem Zufall überlassen wollte? Dass sie unermüdlich schrieb und das Geschriebene samt Durchschlägen in Ordnern verwahrte? Dass sie alles auf Inventarlisten festhielt, um es dem drohenden Vergessen zu entreißen? Hatte man sich inmitten von Wirtschaftswunderzeiten ringsum längst dem Materiellen zugewandt, lebte Margot Gabriel weiter ihr stilles und zurückgezogenes Leben im Schatten des Bildhauers Rudolf Christian Baisch.

Er war ihr Gesprächspartner und Kritiker. Er las alles, was sie schrieb, gab ihr Halt und Kraft. War es einst eine seiner Skulpturen, die Margot Gabriel den Weg ins Atelier des Künstlers wies, so blieben beide bis zu seinem Tod innig vereint. Dass es ihr Mann war, der in der Öffentlichkeit glänzte? Dass sie schrieb und es dennoch vor allem seine Skulpturen, Gemälde und Verse waren, über die man sprach? Nun ja, so waren die Zeiten nun mal – dem Miteinander tat es keinen Abbruch. Bis zu Baischs Tod im Jahr 1990 lebten beide am Dorper Weg in der „Plattekuhle“, später zog Margot Gabriel zu ihrem Sohn Raimund nach Ratingen in die alte „Nussbaumschule“. Erinnert der sich an eine am Küchentisch schreibende Mutter?

„Nein, eigentlich nicht“, blickt Raimund Baisch zurück auf behütete Kinderjahre. Allenfalls ihre Briefe seien es gewesen, die ihm damals in die Hände gefallen seien. Auch die beseelt – und voller Empathie für die Nöte ihrer erwartungsvollen Empfänger. Als Margot Gabriel vor zehn Jahren starb, ließ sie einiges davon in Durchschlägen zurück. Korrigiert, abgeheftet und die Ordner in Schränken verstaut. Es dauerte dann auch seine Zeit, bis sich Raimund Baisch an den Nachlass seiner Mutter wagte. Er war es auch, dem ihre Autobiografie „Die guten Sechzehn“ in die Hände fiel. Die Jugendjahre, offenbar genossen – und mit dem Kriegsbeginn vorbei. Wie es danach weiterging? Welche Spuren die erlebten Grausamkeiten in der Seele des noch jungen Mädchens hinterlassen hatten? Die Wissenslücke ließ sich später allerdings nicht mehr schließen.

Was blieb, war ein wortreiches Leben, über das Margot Gabriel dennoch selbst sagte: „Ich bin nicht wie unser alter Birnbaum, der jedes Jahr eine Fülle von Früchten hervorbringt. Kein Gedicht kann ich erzwingen. Ich muss geduldig warten auf den gesegneten Augenblick.“

Drei Jahrzehnte vor ihrem Tod, hatte sie es sich im Gedicht „Bitte“ schon so gewünscht, wie es dann im Juni 2009 auch kommen sollte: „Gern stürbe ich, dürfte ich’s wünschen – im Frühling; nähme gerne Farbe und Duft des Flieders mit auf den Weg . . . und frühe Blumen aus dem verlassenen Garten deckten mich zu. Die Lieben aber gingen unter maigrünen Bäumen, von Amselliedern getröstet, leichten Schrittes nach Haus.“

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