Erkrath: „Die verdammte Wahrheit“

Die Erkratherin Anne Flock wurde als Kind adoptiert. In dem autobiographischen Roman hat sie ihre Erlebnisse verarbeitet.

Erkrath. "Ich wollte einfach keine Geschichten mehr. Ich wollte die Wahrheit", sagt Anne Flock. "Die Wahrheit darüber, wo ich herkomme und wer ich bin. Und vor allem eine Antwort auf die Frage, warum meine Mutter mich damals weggeben hat."

Jahrzehntelang hat diese Ungewissheit an der heute 53-Jährigen genagt. "Nach außen hin ließ ich mir natürlich nichts anmerken", erzählt sie. Aber in ihrem Inneren brodelte es, sie wollte diese "verdammte Wahrheit".

"Mama, was ist adoptiert? Karin sagt, ihr seid nicht meine Eltern." Als die damals Achtjährige ihre Mutter mitten in den Vorbereitungen für ein Familienfest mit dieser Frage konfrontiert, rüttelt sie an den Grundfesten einer heilen Familie. "Ich bekam eine Antwort", sagt Anne Flock - und hat wieder die Bilder von vor 45Jahren in der heimischen Küche vor Augen.

"Ich weiß es noch genau: ,Sprich mit niemandem über das, was ich dir gerade erzählt habe. Vor allem nicht mit Robert’, schloss meine Mutter damals. Sie war völlig aufgelöst. Robert ist mein kleinerer Bruder und wurde zusammen mit mir fortgegeben."

"Sprich mit niemandem über das, was ich dir gerade erzählt habe", wiederholt die Erkratherin, "dieser Satz hallte 35 Jahre lang in meinen Ohren". So lange, bis sie im Januar 2000 begann, die Geschichte, die ihr Leben prägte, aufzuschreiben. "Das Schreiben war für mich wie eine Therapie", erklärt sie.

All das, was Anne Flock beim Kramen in Erinnerungen, bei Recherchen, dem Sichten alter Unterlagen und Fotos, den Gesprächen mit Freunden und Familienangehörigen ans Tageslicht brachte, hat sie in einem Buch veröffentlicht. "Die blaue Spur" heißt der autobiographische Roman um Sophie, die als Fünfjährige zur Adoption freigegeben wird und als 39-Jährige ihre leibliche Mutter findet.

"Wussten Sie, dass zwischen 1950 und 1970 in Deutschland 300.000 Kinder zur Adoption freigegeben wurden?", fragt Anne Flock. "Eine unglaubliche Zahl, über die kaum jemand spricht. Das Thema wird immer noch tabuisiert, weil die Kinder selbst im Erwachsenenalter Angst vor der Wahrheit haben.

Weil sich dahinter oft ein trauriges Schicksal verbirgt. Und weil die Adoptiveltern Angst vor Verlust haben." Schließlich, so Flock, sei die Adoption nur eine Momentaufnahme, das Adoptiertsein dagegen ein lebenslanger Prozess.

"Ich wollte wissen, wer meine Eltern sind, ob ich meiner Mutter ähnlich sehe. Und ich wollte Menschen wie mir Mut machen", sagt die 53-Jährige. "Als 1982 meine eigene Tochter zur Welt kam, ist die Idee gereift. Ich dachte daran, dass meine Mutter damals doch Ähnliches für mich empfunden haben muss."

Die Scheu, ihrem Schicksal auf den Grund zu gehen und die Pflichten einer jungen Mutter ließen den Plan zunächst in der Schublade verschwinden. Zehn Jahre späterkam Flocks Sohn zur Welt. "Da kam meine Geschichte zurück."

Zehn Jahre dauerte das Zusammentragen der Fakten. "Jahre, die mich geprägt und gelenkt haben", sagt Anne Flock. "Ich bin mehr denn je ein Familienmensch und liebe es, wenn alle beisammen sind."

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