Erkrath/Hilden Über das Leben eines Angeschossenen

Erkrath/Hilden. · Ein junger Mann muss für mindestens 20 Jahre in die Psychiatrie, weil er in seiner Wohnung in Erkrath Polizisten bedroht haben soll. Die Mutter erzählt eine bewegende Lebensgeschichte.

 Die Mutter des Verurteilten blättert im Fotoalbum. Der Mann war in Erkrath von einer Kugel getroffen worden. Er hatte Polizisten bedroht .

Die Mutter des Verurteilten blättert im Fotoalbum. Der Mann war in Erkrath von einer Kugel getroffen worden. Er hatte Polizisten bedroht .

Foto: Mikko Schümmelfelder

Sie blickt auf das Foto und erinnert sich: Der Sohn, ein hübsches Kind. Lachend schaut er in die Kamera. Gleich daneben: Die Schwester, nur wenige Tage jünger. Dass sie Adrian und Paula in Brasilien adoptiert hat, war für Brigitte Metz (Namen von der Redaktion geändert) nie ein Problem. Immerhin hatte die leibliche Mutter des Jungen vor dessen Geburt zwei Kinder verhungern lassen und das dritte auf der Straße verschenkt.

Paula wiederum hätte es ohne die Vergewaltigung ihrer damals 17 Jahre alten Mutter nicht gegeben. 30 Jahre ist das her und später machte ein weiteres Mädchen aus Brasilien das Familienglück komplett. Dass die Kinder dunkelhäutig waren, machte das Leben – anfangs in Hilden und später in Düsseldorf – nicht einfach. Sie sei ein Negerflittchen und „sowas wäre bei Hitler vergast worden“: Plumpe Vorurteile schlugen Brigitte Metz (heute 62) entgegen. Für sie war dennoch immer klar: „Ich kämpfe für meine Kinder wie eine Löwin“.

Erst vor ein paar Wochen hat sie das wieder getan – diesmal jedoch als Zeugin im Gerichtssaal. Auf der Anklagebank: Adrian, der Sohn – angeklagt wegen versuchten Totschlags. Später wird dieser Tatvorwurf nicht mehr zu halten sein, es wird „nur noch“ um versuchte Körperverletzung gehen.

Nachbarn hatten die Polizei alarmiert, nachdem sie Hilferufe aus der Wohnung des jungen Mannes in Erkrath gehört haben wollten. Herbeigeeilte Polizeibeamte sollen ihn – vom Balkon der Nachbarwohnung aus – im Wohnzimmer auf der Couch liegend gesehen haben. In der Hand das Messer, mit dem er kurz darauf auf die Polizisten zugelaufen sein soll. Das Messer zu Boden gerichtet – aber laut schreiend, nachdem die Beamten nach erfolglosem Klingeln seine Wohnungstüre mit dem Brecheisen geöffnet hatten. Um Schlimmeres zu verhindern, hatte einer der Polizisten dem vermeintlichen Angreifer damals ins Bein geschossen.

Später vor Gericht ist für alle Beteiligten klar: Adrian hatte Angst davor, von Nachbarn abgehört und überwacht zu werden. Er stopfte Papier in die „Löcher“ des Fernsehers und fühlte sich durch Hände bedroht, die aus den Schränken nach ihm griffen. Wurde die Angst zu groß, riss er die Türen von den Möbeln, die Sachen aus den Schränken und schlief im Keller.

„Die Betreuerin wusste von all dem und hat dennoch nichts unternommen“, sagt die Brigitte Metz und schüttelt den Kopf.

Kurz bevor die Lage schließlich eskalierte, soll die Polizei schon mal in der Wohnung gewesen sein. Da hatte Adrian im psychotischen Wahn seine Möbel vom Balkon auf die Wiese vor dem Haus geworfen. Die Beamten brachten ihn in die Landesklinik nach Langenfeld.

Dort wurde er kurz darauf wieder entlassen. „Vollgepumpt mit Medikamenten und mit einem Zungenkrampf“, erinnert sich Brigitte Metz an den Sonntag, an dem sie ihren Sohn – von dessen Psychiatrieaufenthalt nichts wissend – eigentlich zum Essen erwartet hatte.

Als Adrian nicht kam, fuhr sie mit ihrer Tochter zu dessen Wohnung nach Erkrath. Auf dem Weg dorthin begegnete sie ihm eher zufällig – ihr Sohn war bei hochsommerlicher Hitze, nur mit einer Unterhose bekleidet. Ohne Schuhe war Adrian nach seiner Entlassung von Langenfeld zu Fuß nach Hause gelaufen. Wie er den Weg dorthin überhaupt gefunden hat, weiß keiner so genau. Und dass er überhaupt entlassen worden war, wusste offenbar auch niemand. Da ihr Sohn ohne Schlüssel unterwegs war, rief die Mutter den Schlüsseldienst. Die Nachbarn fürchteten einen Einbruch und wählten den Notruf. Bei der Mettmanner Polizeiwache wiederum erinnerte man sich daran, den jungen Mann erst vor wenigen Tagen in die Psychiatrie gebracht zu haben. „Die Beamten waren entsetzt, dass er von dort schon wieder entlassen worden war“, sagt Brigitte Metz.

Und sie schreibt wieder einen Brief – diesmal an die gesetzliche Betreuerin des Sohnes. Der lebe einsam und isoliert in einer leeren Wohnung. Adrian sei suizidgefährdet und er gefährde auch andere, weil er in seinem Wahn nicht wisse, dass die Polizei ihm helfen wolle. Sie fürchte, dass er sich zukünftig wehren und auch gegenüber Anderen handgreiflich werden könne. „Bevor noch Schlimmeres passiert, muss endlich etwas getan werden“, richtet Brigitte Metz verzweifelte Worte an die Betreuerin. Die hatte da die Wohnung schon lange nicht mehr betreten - aus Angst vor ihrem „Klienten“, wie die Frau später vor Gericht sagen wird. Vom Hilferuf der Mutter bis zu dem Tag, an dem Adrian mit einem Beindurchschuss aus der Dienstwaffe eines Polizeibeamten im Operationssaal liegt, vergehen wenige Wochen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, der Fall landet vor dem Wuppertaler Landgericht.

Eine dort hinzugezogene, psychiatrische Sachverständige wird dem jungen Mann eine paranoide Schizophrenie attestieren. Nach Aktenlage, wie es bei Gericht heißt, wenn sich ein Angeklagter der Begutachtung verweigert. Der Schriftwechsel mit gesetzlichen Betreuern und dem Amtsgericht füllt längst mehrere Aktenordner.

Adrian war gerade in die neunten Klasse gekommen, als er zuhause mit dem Baseballschläger auf seine Schwester losging. Die Mutter rief damals die Polizei, der Teenager kam in die Psychiatrie. Von dort entlassen, landete der Junge in einer betreuten Wohngemeinschaft und später in einer eigenen Wohnung. Dort hatten sich zwischenzeitlich ein paar Drogenabhängige „eingenistet“, die später wegen des Raubüberfalls auf einen Mettmanner Juwelier zu hohen Jugendstrafen verurteilt wurden. Zuvor sollen sie Adrian aber noch an einen Stuhl gefesselt und damit gedroht haben, ihm den Kopf mit einer Machete abzuschlagen. Brigitte Metz rief beim „Weißen Ring“ an – einer Organisation, die Verbrechensopfern hilft. Sie bemühte sich um eine Traumatherapie für ihren Sohn – die der nicht antreten konnte, weil der gesetzliche Betreuer es versäumt hatte, Adrian bei der Krankenversicherung zu melden. Von ihm hörte sie immer wieder, ihr Sohn sei nicht krank, sondern nur zu faul zum Arbeiten. Die Bitte um therapeutische Hilfe, psychiatrische Pflege und irgendwann auch um Einweisung in die Psychiatrie: Abgewiesen! Jahrelang hat Brigitte Metz verzweifelt darum gekämpft, dass ihrem Sohn geholfen wird. Immer wieder hat sie darauf hingewiesen, dass er psychisch krank sei.

Geglaubt hat das nun ausgerechnet das Gericht: Adrian wurde auf unbestimmte Zeit in die forensische Psychiatrie eingewiesen. Drei oder vier Jahre, das wäre für Brigitte Metz noch zu verkraften gewesen. Nun allerdings fühle es sich so an, als sei Adrian einfach weggesperrt worden. Sein Anwalt stellt dazu fest: „Es können 20 oder 30 ­Jahre werden.“ Er hat bereits Revision gegen das Urteil ein­gelegt.

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