Ein halbes Leben lang Marathon

Karl-Ernst Rösner (80) ist mehr als 500 Marathons gelaufen — Schnelligkeit spielt für ihn heute aber keine Rolle mehr.

Ein halbes Leben lang Marathon
Foto: dpa

Hilden/Haan. Der Schweiß tropft von Karl-Ernst Rösners Nasenspitze. Seit 90 Minuten joggt der 80-Jährige leicht gebückt durch ein Waldstück nahe Düsseldorf. „Ist das nicht zu anstrengend?“, ruft er augenzwinkernd einem älteren Pärchen zu, das auf einer Bank sitzt und die Gesichter Richtung Sonne streckt. Rösner läuft lieber. Das ist schließlich sein größtes Hobby - und es hat ihm auch schon durch schwere Zeiten im Leben geholfen.

Bisher hat der Rentner aus Haan an mehr als 500 Marathons und Ultra-Läufen in Deutschland, Italien oder den USA teilgenommen. Im vergangenen Jahr wurde er zum Rekordhalter in Nordrhein-Westfalen gekürt. Und das, obwohl er erst mit 44 Jahren seinen ersten Marathon absolvierte. Das Laufen wurde zum unentbehrlichen Hobby, hunderte Wettbewerbe folgten: Zwischenzeitlich rannte Rösner mehrere Läufe pro Monat und allein fünfmal über 300 Kilometer von Genf nach Basel.

Mittlerweile lässt der 80-Jährige es ruhiger angehen, tritt nur noch bei ausgewählten Wettbewerben an. Auf Zeit läuft Rösner schon seit Jahren nicht mehr. „Wertungen spielen für mich jetzt keine Rolle mehr.“ Beim 16. Düsseldorf Marathon im April kam er nach 6:44:07 Stunden als Letzter ins Ziel. Aber das Laufen hält Rösner fit: „Ich mache das aus Vernunft, aus gesundheitlichen Gründen.“

Sein Trainingsplan ist straff: Vier Mal die Woche joggt der Senior mit seinen Laufkumpels los. „Wir laufen bei jedem Wetter - außer bei Nebel und bei Glatteis.“ An den übrigen Tagen geht es ins Fitnessstudio zum Kraft-Ausdauer-Training. Einmal im Jahr lässt der 80-Jährige seinen Arzt nachprüfen, ob er weiterlaufen darf. Bislang hatte dieser nichts dagegen. Rösner läuft und läuft - als Sucht habe er den Sport aber nie empfunden, sagt er.

In einem laminierten Spiral-Heft hat der Rentner alle Wettbewerbe aufgelistet. Als seine erste Frau - ebenfalls begeisterte Läuferin - 1994 starb, war er fast jede Woche auf Wettbewerben. „Das sieht man an den Statistiken“, sagt Rösner. Das Laufen habe ihm damals geholfen, sagt er. Beim Lauftreff lernte er später seine zweite Frau kennen. Auch sie starb vor fast drei Jahren an den Folgen eines Fahrradunfalls. „Jetzt bin ich wieder allein“, sagt Rösner. Eine Laufpartnerin in seinem Alter finde er nicht.

Jedem Spaziergänger schallt an diesem heißen Frühlingstag im Hildener Wald ein lautes „Guten Morgen“ entgegen. „Nicht die Strecke, sondern die Geschwindigkeit tötet“, weiß Rösner. Über die Jahre hat sich der Rentner, der zuletzt als Sportreferent beim Kreis Mettmann arbeitete, tief in die Materie eingearbeitet. Während des Trainings spult Rösner Tipps und Regeln aus der Fachliteratur ab: „Erst warmlaufen, dann belasten, später auslaufen“, erklärt er etwa.

Grundsätzlich spricht laut Sportmediziner Frank Mayer vom Deutschen Sportärztebund DGSP nichts gegen Laufen und Marathon im Alter, wenn ein Arzt vorher grünes Licht gegeben und über Risiken aufgeklärt hat. Ob ältere Menschen die Belastung aushalten könnten, hänge vom individuellen Gesundheitszustand ab, sagt der Potsdamer Professor. Wer die Empfehlungen des Arztes beim Training befolge, halte die Gelenke mit dem Sport beweglich und stabil - „Laufen erhält die Mobilität“. Außerdem würde das Herz-Kreislauf-System trainiert. Mayer rät, sich langsam heranzutasten: „Man sollte nicht von Null auf Hundert gehen.“

Rösner weiß all das. Er war ehrenamtlicher Lauftreffleiter beim TSV Hochdahl und gründete mit seiner ersten Frau in Haan einen eigenen Lauftreff. „Dort habe ich 1000 Anfängern das Laufen ohne Schnaufen beigebracht“, erzählt Rösner. Sechs Jahre bildete er als Lauftreffwart beim Deutschen Leichtathletik-Verband Nordrhein Lauftreffleiter aus und weiter.

Ende des Jahres will er nun aber zumindest die Wettbewerbe an den Nagel hängen. Ein 80-Jähriger mit einer zu geringen Grundkondition sollte das seinem Körper nicht mehr zumuten, findet Rösner. Trainieren will Rösner weiterhin. Ganz ohne geht es nicht.

Auf den letzten Metern seiner Trainingsrunde nimmt Rösner sein rotes Schweißband von Kopf und wringt es aus. Am Auto wäscht er sich kurz. Es sei wichtig, direkt aus den nassen Klamotten zu schlüpfen - auch ein Tipp aus einem Buch, den Rösner stets befolgt. Auf dem Heimweg wird er mehrfach überholt. „Ich fahre am liebsten Tempomat“, sagt er. „Das ist am schönsten.“ Rösner lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.

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