Touren voller Erinnerungen: Fahrradfahren mit Blinden und Sehbehinderten

Der Fahrradclub ADFC fährt einmal im Monat mit Blinden und Sehbehinderten auf dem Tandem. Für die Passagiere unvergesslich.

Erkrath. Vor der Fahrt noch ein paar Übungsrunden, dann geht es endlich los. Lange haben die Clubmitglieder auf diese erste Tour des Jahres gewartet. Wieder den Fahrtwind um die Nase spüren, die Landluft riechen, die Sonne genießen. Die vorüberziehende Landschaft — die lassen sie sich von den Piloten in Worten ausmalen. Sehen kann die Hälfte der Fahrer sie nicht.

Bereits im sechsten Jahr fährt der Tandemclub „Weiße Speiche Erkrath“ beim ADFC Tandemtouren für Blinde und Sehbehinderte in Erkraths näheres Umland. Der Hildener Werner Biegiesch will bei der Fahrt auf dem Rad „etwas erleben, erspüren“. Die gemeinsame Aktivität bedeutet für ihn nicht nur mehr Lebensqualität. „Ein bisschen geht es mir auch um die körperliche Betätigung, weil wir uns im Allgemeinen nicht so stark körperlich ertüchtigen können“, sagt er. Biegieschs Gesichtsfeld ist stark eingeschränkt. „Während der Fahrt erzählen uns deshalb die Piloten, wo wir sind“, sagt er.

Wolfgang Anft leitet die monatlichen Radtouren. Als Augenarzt hat er viel mit Sehbehinderten zu tun. „Die Blinden hören und riechen, was wir gar nicht merken, was wir eben nicht können“, sagt Anft. Mittlerweile verfügt der Club über zehn Tandems. Bei dieser Anzahl wollen die Touren gut organisiert sein. „Wir fahren so, dass höchstens acht Tandems dabei sind, weil das sonst zu unübersichtlich wird“, sagt Anft.

Die meisten Sehbehinderten fahren mit festen Piloten. Denn blind fahren erfordert Vertrauen. Bei Werner Biegiesch ist heute Ersatzpilotin Ingrid Kehrbach eingesprungen. Nicht alle Sehbehinderten trauen sich das. „Ein anderer Fahrer hat abgesagt, weil sein Pilot nicht konnte“, sagt Kehrbach. Sie schätzt die kommunikative Art der sehbehinderten Tandempartner. „Wenn ich mit Sehenden fahre, fahren die schon mal vor und man kommt nicht so ins Gespräch“, sagt sie.

Ein seit Jahren eingespieltes Team sind der Tourenleiter und Christian Rücker. Obwohl Rücker fast völlig blind ist, bereitet ihm das schnellere Tempo eines Tandems keine großen Schwierigkeiten. „Der Pilot sollte mit dir natürlich einen intensiven Kontakt haben und Kommandos geben“, erklärt er.

Gerne nimmt er dabei auch mal das Steuer selbst in die Hand. „Auf dem Tandem kann ich hinten den Lenker halten und auch den Arm rausstrecken. Dann sehen die hinter uns, wo es lang geht“, sagt Rücker. Von den Touren behalten die sehbehinderten Fahrer lebhafte Erinnerungen zurück: an den Geruch der Schafherden am Rhein oder das große Gewitter während der Einkehr im Neusser Jachthafen.

Über die Jahre haben die Tandems sich so immer mehr Raum erobert. Was vor sechs Jahren noch mit zwei Runden um den Unterbacher See begann, wurde mittlerweile zu 30 Kilometer langen Touren von drei bis vier Stunden. Vor drei Jahren fuhren die Tandems sogar erstmals bei der normalen ADFC-Tagestour mit.

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