Auf dem Rad bis zum Nordkap

Die Hochdahlerin Lydia Lind (60) hat sich während der Tour viele Gedanken über die Höhen und Tiefen des Lebens gemacht.

Erkrath. Fast schon liebevoll streichelt Lydia Lind den schwarzen Ledersattel ihres Tourenfahrrads. „Ich bin so stolz. Ich würde es am liebsten abends mit ins Bett nehmen“, sagt die 60-jährige Hochdahlerin auf ihrer Dachterrasse — rund 50 Meter über dem Stadtweiher. „Als ich am Nordkap vor der Weltkugel stand, dachte ich nur: unfassbar.“

Ende Juli machte sich die selbstständige Personaltrainerin mit 15 Radfahrern auf den Weg. „Ich tue so viel für andere, bin für meine Kunden 24 Stunden am Tag da. Zu meinem Geburtstag wollte ich mir etwas ganz Besonderes schenken“, sagt die gebürtige Marburgerin.

Mit der Fähre ging es von Travemünde nach Trelleborg. „Als wir in Schweden ankamen, brach der Himmel auf, als ober uns begrüßen wollte“, sagt Lind. „Wir sind durch ganz Schweden in Sommersachen gefahren. Diese unendliche Weite — ich habe mich in das Land fast verliebt.“

Doch ihre Reise zum norwegischen Schieferplateau, bei der Lind in 13 Tagen rund 4000 Kilometer mit dem Bus und 1000 Kilometer mit dem Rad fuhr, war nicht nur etwas fürs Herz.

„Wenn man bei Regen und Kälte am Tag 100 Kilometer durch die Finnmark fährt und keinen Menschen weit und breit sieht, weil sich die Gruppe auseinanderzieht, grübelt man“, sagt sie. „Das ist so, als stünde man an einer Wegkreuzung des Lebens und fragt sich: Wofür mache ich das?“

Die Antwort hat Lind nach ihrer Rückkehr parat: „Man hat nur das Recht, seine Meinung zu äußern, wenn man die Höhen und Tiefen des Lebens kennt.“ Sie habe sich durchbeißen und selbst besiegen müssen. „110 Kilometer bei gefühlten zwei Grad und Gegenwind. Da ging abends nichts mehr. Ich war platt.“

Ans Aufgeben hat Lind trotzdem nie gedacht. Viel zu sehr ist sie auf zwei Rädern in ihrem Element. „Blut geleckt habe ich 1986, als ich mit meiner Tochter und meinem Sohn von Bremen nach Marburg gefahren bin. Als ich wieder fahren wollte und eine Freundin absagte, bin ich alleine losgeradelt“, sagt Lind, die im Januar 2011 mit ihrem Mann von der Hansestadt nach Hochdahl gezogen ist.

„Einmal bin ich in einer Woche vom Rothaargebirge 460 Kilometer nach Koblenz gefahren — zu einem Kunden“, sagt sie. „In meinen Packtaschen hatte ich Kostüm und Schühchen.“ Für die kräftezehrende Tour zum Nordkap hat das ADFC-Mitglied trotzdem fleißig trainiert. Täglich nahm Lind die 256 Stufen von der Tiefgarage zu ihrer Dachgeschosswohnung und stieg aufs Rad. „Fahrradfahren bedeutet für mich Freiheit. Ich liebe Wasser. Wenn ich Heimweh nach der Weser habe, fahre ich an den Rhein.“

Oder eben ans Eismeer — bei elf Prozent Steigung, gekleidet mit vier Jacken, Helm und Handschuhen. „Ich kam um 23.30 Uhr an, und die Sonne schien. Ich hatte noch nie das Gefühl, so weit von Zuhause weg zu sein“, sagt sie. „Das Nordkap ist einfach ein mystischer Ort.“

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