Interview „Der Chemiepark könnte in zehn Jahren tot sein“

Nicht nur durch das Projekt Rheinblick sieht Ralf Köpke, Vorsitzender des Krefelder DGB, den Industriestandort in Gefahr.

Interview: „Der Chemiepark könnte in zehn Jahren tot sein“
Foto: Andreas Bischof

Krefeld. Ralf Köpke muss derzeit im Chemiepark zwar an keinen Verhandlungstischen sitzen. Doch auch wenn aktuell gerade kein Personalabbau bei Currenta, Covestro — ehemals Bayer Material Science — oder Lanxess besprochen werden muss, blickt der IG-Metall-Gewerkschaftssekretär und Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) mit Sorge auf den Industriestandort am Rhein.

Herr Köpke, über das Wohnungsbauprojekt Rheinblick wird viel diskutiert. Wie sehen Sie die Lage?

Ralf Köpke: Ich sehe das Projekt als große Gefahr für den ganzen Chemiepark, als Gefahr für die hier derzeit angesiedelten rund 7000 Arbeitsplätze und Steuerkraft in Krefeld und auch für die Kaufkraft in Uerdingen. Der Stadtteil profitiert mit immerhin 250 Millionen Euro an Kaufkraft im Jahr vom Chemiepark. Seit vielen Jahren mahnt Currenta, als Betreiber des Chemieparks, schon wegen des Projekts Rheinblick, unter anderem wegen der Frage der Abstände zwischen Wohnen und Industrie. Es wäre ein Drama, wenn sich am Ende Currenta und damit der gesamte Chemiepark zurückzöge. Die haben schließlich ein vergleichbares Gelände in Antwerpen. Es wäre ein Drama für die industrielle Entwicklung in Krefeld, wenn das Unternehmen abwanderte. Das Risiko besteht, dass der Standort Chemiepark in zehn Jahren tot ist. Und zwar nicht nur wegen des Rheinblicks, sondern auch wegen der nicht gelösten Energiefrage.

Worin sehen sie die weiteren Risiken?

Köpke: Bisher hatte Currenta im Chemiepark den kompletten Kreislauf unter sich. Nun ist die Entsorgung abgekoppelt worden und wird von einer anderen Firma übernommen. Das kann man auch als besorgniserregendes Zeichen sehen. Das ist auch so, wenn man über das Gelände fährt und die zahlreichen Leerstände sieht. Neue Firmen anzusiedeln ist nicht so einfach wegen der Auflagen rund um die Chemieproduktion. Und wenn man dann auf die Entwicklung in Sachen Industrie im Allgemeinden schaut . . .

Wie sieht die nach ihrer Einschätzung derzeit aus?

Köpke: Ich sehe in Krefeld nirgendwo Arbeitsplatzaufbau, nur personellen Abbau im industriellen Sektor. Insgesamt haben wir in der Stadt nur noch 84 000 sozialversicherte Beschäftigte, vor 15 Jahren waren es noch 89 000. Es gibt nur noch 350 Unternehmen im Bereich Industrie und Produktion mit rund 22 000 Beschäftigten. Nachweislich sind 1500 industrielle Arbeitsplätze in den vergangenen zwei Jahren verloren gegangen. Als Retter in dieser Lage werden Logistik und Dienstleister gesehen. Aber Logistik ist nicht der Heilsbringer. Es gibt Logistikstandorte ohne Ende — in Mönchengladbach, Duisburg, Venlo. Viele setzen darauf. Aber diese Bereiche können keinen Ersatz schaffen für Arbeitsplätze, die in der Industrie verloren gehen. Die Menschen, die in Krefelder Distributionszentren arbeiten, verdienen im Schnitt ein Drittel weniger von dem, was bei einem Industriearbeitsplatz zusammenkommt.

Das heißt, alle Neuansiedlungen der vergangenen Jahre haben am Ende nichts bewirkt?

Köpke: Sie decken zahlenmäßig die Verluste. Was die Ideen angeht, in welche Richtung sich der Standort Krefeld weiterentwickeln könnte, fehlen die Visionen. Ich habe auch kein Patentrezept. Es bleibt dabei: Wir sind kein Textilstandort mehr und wir werden in der Industrie nichts mehr groß aufbauen können. Als Gewerkschaften können wir nur daran arbeiten, die Firmen und Arbeitsplätze zu halten. Und auch die Bürger müssen das erkennen.

Was können die Krefelder denn dafür tun?

Köpke: Das muss man im Kontext damit sehen, was im Land mit der Industrie insgesamt passiert. Über die Industrie heißt es: Es pufft, es knattert, es stinkt. Güter sollen transportiert werden, aber nicht auf dem Eisernen Rhein. Industrie ist schön, aber nicht bei mir vor der Haustür. Wir brauchen mehr Akzeptanz für die Industrie. Aus ihr haben wir unseren Wohlstand gewonnen.

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