Wesolych swiat: Oh, du schlesische Weihnachten

Karpfen in der Badewanne, Geld unter den Tellern und ein freier Platz am Tisch. Andere Länder, andere Sitten — so ist das halt, erzählt eine WZ-Autorin.

1988: Silber und purpur glänzend steht der prächtig geschmückte Weihnachtsbaum in der Ecke des Wohnzimmers. Vor ihm sitzt ein kleines Mädchen und begutachtet, ob alles auch am richtigen Platz hängt. Weil das Lametta so schön glitzert und sich als Dekoration in den Haaren gut macht, findet es sich in der ganzen Wohnung wieder — sehr zum Unmut der Frau des Hauses.

Doch zum Schimpfen bleibt ihr keine Zeit, denn gemeinsam mit ihrer Mutter bereitet sie das Weihnachtsessen vor. Eine stressige Angelegenheit. Es soll Karpfen, Fischsuppe, Sauerkraut mit Pilzen, Kartoffeln mit Petersilie und andere Leckereien geben, die bei Einbruch der Dunkelheit serviert werden sollen.

Da die Verletzungsgefahr bei all den heißen Pfannen und Töpfen zu groß ist, wird das Mädchen aus der Küche verbannt. Das ist ihm ganz recht, kann es sich so vor den Fernseher setzen und das Weihnachtsmärchen „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ gucken. An einigen Heiligabenden verbrachte es seine Zeit auch vor der Badewanne. Denn dort schwammen nämlich Karpfen herum (Anmerkung: in den 80er Jahren wurden noch lebende Fische verkauft).

Über diesen „Besuch“ freute sich die Kleine immer, wünschte sie sich bereits seit Jahren ein Haustier. Allerdings verstand sie nie, wohin ihre Freunde gegen 16 Uhr plötzlich verschwunden waren. Irgendwann erfuhr sie die Wahrheit — und fand sie gar nicht toll. Was sie aber toll fand war, dass, obwohl sie aus der Küche verbannt wurde, sie den Tisch decken durfte. Eine ehrenvolle Aufgabe! Hier gab es direkt zwei Besonderheiten: So wurde zum einen für einen unsichtbaren Gast gedeckt, der ein Nachbar oder ein Obdachloser sein konnte. Dies sei ein Symbol für Nächstenliebe, erklärte die Mutter dem Kind. So weit so gut. Das Verteilen von Geld unter den Tellern sei eine weitere Tradition, die jedem am Tisch einen vollen Geldbeutel für das neue Jahr sichern sollte. Sehr christlich.

Nachdem alles vorbereitet war, musste die Kleine auf das Auftauchen des Polarsterns warten. Sobald dieser am Abendhimmel zu sehen war, wurde es in die Küche weitergetragen, damit die Speisen serviert werden konnten.

Dass ihre Familie anders ist, hatte das Mädchen bereits früh bemerkt, sprachen Vater, Mutter, Oma und Cousine eine fremde Sprache — Polnisch, um genau zu sein. Natürlich gab es hier kleine Unterschiede, denn die Familie stammte aus Oberschlesien, wo man ein „anderes Polnisch“ sprach. Zudem gab es auch in der Küche regionale Unterschiede. So servierten viele polnische Familien noch Pierogi (gefüllte Teigtaschen mit Fleisch, Sauerkraut oder Weißkäse) oder verfeinerten das Sauerkraut mit Erbsen oder Knoblauch.

Wie merkwürdig, dachte die Kleine. Sprache anders, Sitten anders, Essen anders. Dem Mädchen war es letztendlich egal. Denn das einzige, was für das Kind zu Weihnachten zählte, waren die Geschenke. Ein kleiner Kapitalist, mögen die einen nun denken, aber die Wahrheit ist, dass die Familie sich nicht viel leisten konnte und der Heiligabend neben dem Geburtstag die einzigen Tage waren, wo dem Mädchen größere Wünsche erfüllt wurden.

Ach ja! Das waren noch Zeiten. Damals wusste die Autorin das gemütliche Beisammensein und vor allem die Mühe, die sich ihre Mutter und Oma zu Heiligabend gemacht haben, nicht zu schätzen. Erst als die „kindliche Konsumgier“ nachließ, wurde ihr bewusst, wie wichtig die Gesellschaft von lieben Menschen und die Fortführung von Traditionen ist. Das möchte sie zu Ehren ihrer Familie auch genauso beibehalten.

In diesem Sinne: Wesolych swiat.

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