Stadtgeschichte 250 Jahre alte Briefe der Familie Coenen sind wieder aufgetaucht

Krefeld · Die WZ entdeckt in ihrem Archiv eine rote Samtmappe samt Korrespondenz — und geht auf Spurensuche.

 Museums-Vize Christoph Dautermann staunt über die erhaltene, wertvolle Familien-Korrespondenz. der Familie Coenen.

Museums-Vize Christoph Dautermann staunt über die erhaltene, wertvolle Familien-Korrespondenz. der Familie Coenen.

Foto: Andreas Bischof

Die in rotem Samt eingeschlagene Din-A4- große Mappe ist fast wie ein Geschenk für Christoph Dautermann. Entsprechend behutsam hält er sie in Händen. Die Mappe schützt eine umfangreiche Sammlung bislang fast unbekannter Liebesbriefe der Krefelder Familie Coenen. „Eine solch kompakte Privatkorrespondenz über fast 60 Jahre ist sehr selten – und schon toll“, sagt der stellvertretenden Leiter des Museums Burg Linn. In einem Umzugskarton in der Krefelder Redaktion der Westdeutschen Zeitung schlummerte dieser Fund ungeahnt einige Jahre. Wie lange schon? Das ist im Gegensatz zu dem Inhalt der in altdeutscher Schrift geschriebenen Familienbiefe nicht mehr herauszufinden.

Die „Heimat“ lüftet das erste Geheimnis der Korrespondenz

Normalerweise untersucht Dautermann solche Funde mit Handschuhen und Lupe. Bei seinem Besuch in unserer Redaktion ahnt er jedoch nicht, was ihm vorgelegt werden wird. Während des Umzug der Lokalredaktion vom Erdgeschoss in die zweite Etage des WZ-Hauses an der Rheinstraße vor zwei Jahren war die rote Samtmappe hinter einem großen Stapel Krefeld-Bücher aufgetaucht - ohne Hinweis auf den Besitzer oder zu welchem Anlass die Dokumente der Redaktion übergeben worden sind. Wer eignet sich besser, das alles herauszufinden, als die Experten des Museums Burg Linn, das selbst über eine historische Buchsammlung verfügt?

Der erste Brief vom 16. August 1776 an Sibilla Hoecker stammt von ihrem Onkel mütterlicherseits, Oheim damals genannt, Peter Lobach. Der weilt zu dem Zeitpunkt in Amsterdam, wo er viel Vergnügen und Zeitvertreib erlebt und seiner Nichte davon erzählt. Der Brief ist auch 243 Jahre nach seinem Aufsetzen noch gut erhalten und leserlich, wie alle Brief-Schätze in dem Fund. Selbst der samtene Einband der Mappe weist keinen Schimmel oder Mottenfraß auf.

Um einer solchen Familiengeschichte auf den Grund gehen zu können, bedarf es Zeit, viel Zeit. Im Idealfall wäre die Inhalt einer Masterarbeit, mit reichlich Bezug zur Krefelder Historie, der Samt- und Seidenindustrie verbunden mit zahlreichen klangvollen Namen. Bei der Recherche über die Herkunft der Briefe kommt Dautermann die neuerdings digitale Archivierung des Jahrbuchs „Heimat“ des Vereins für Heimatkunde zugute. Unter dem Stichwort Sibilla Coenen, geborene Hoecker, stößt er auf einen erhellenden Artikel von Carl Rembert in Heft 6 aus dem Jahr 1927 (Seite 299-303), einem seiner Vorgänger. Der war in den 1920er-Jahren nicht nur Schriftführer der Heimat, sondern auch mit der Gründung des Museums Burg Linn beauftragt.

Carl Rembert hatte Briefe für neues Museum erhalten

Rembert beschreibt einen „Schatz treu gehüteter Familienbriefe“ aus der Zeit von 1776 bis 1807, die er von einer Frau Heinrich Coenen-Rohde für das neue Museum überreicht bekommen hatte. „Ihr Inhalt darf kulturfundlich und familiengeschichtlich unsere Beachtung fordern“, schreibt Rembert. Danach findet Werner Coenen, der Sohn eines Lehrers aus Rheydt, nach Ausbildung und ersten Arbeitsjahren in der Firma Peter Lobach als junger Kaufmann eine Anstellung in der großen Firma F. und H. von der Leyen in Krefeld. Dort arbeitet er sich „in nie rastendem Streben und bei bescheidenen Ansprüchen an das Leben zu einer angesehenenen Stellung in Gesellschaft und Gemeinde empor und bringt es im Kreise seiner acht Kinder zu nennenswertem Wohlstand.“

Von ihm und seiner Braut und späteren Gattin Sibilla Hoecker stammen die unbefangenen Liebesbriefe, die er anfangs noch an die „ehr- und achtbare Jungfer Höcker in Creyveldt“ (alte Schreibweise Krefelds) adressiert. Er reist nach Amsterdam, Brüssel, Gent, Lüttich ebenso wie nach Frankfurt. „Seine Reiseberichte atmen als Ausdruck natürlicher Empfindung eine demütige Gottesfurcht und selbstlose Hingabe an die Berufspflichten; wer diese vertrauloichen Äußerungen der bunten Brieffolge liest, wird auch den geschäftlichen Aufschwung jenes soliden, sparsamen Bürgertums verstehen, der uns in rheinischen Städten überrascht“, schreibt Rembert 1927. Werner Coenen stirbt überraschend im Jahr 1807. Zufälligerweise blieb auch ein Nachruf seines vertrauten Freundes, des Mennoniten-Predigers van der Ploeg erhalten, in dem der Mensch, Ehemann, Vater, Geschäftsmann und Bürger detailliert beschrieben ist.

Für Christoph Dautermann eine kleine Sensation. In den Inventarlisten des Museums taucht diese Privatkorrespondenz nicht auf. „Im Zweiten Weltkrieg ist vieles ausgelagert worden – und nach Kriegsende nicht mehr zurückgekommen“, erzählt Dautermann.

Dazu zählt wohl auch die samtene Dokumentenmappe. Zwei neuere Löcher am linken Rand lassen vermuten, dass sie in einem Ordner lange abgeheftet gewesen ist. Zu dem Schriftverkehr von Werner Coenen und Sibilla Hoecker aus den Jahren 1776 bis 1807 sind noch zahlreiche weitere Familienbriefe der nächsten Generation hinzugekommen. So beispielsweise der vom 12. Januar 1831, den Wilhelmine (geb. Lenssen) an ihrem Mann Peter Coenen geschrieben hat (siehe Info-Kasten). Woher sie stammen und wie die Familienbriefe zur WZ gekommen sind, bleibt unbeantwortet. „Vielen Dank, dass die Briefe zurück im Museum sind“, sagt Dautermann erfreut.

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