Schule Wenn der Ranzen zu schwer wird

Bücher, Hefte, Stifte und das Butterbrot: Schüler haben ganz schön was zu schleppen. Wir haben einen Blick in ihre Rucksäcke geworfen.

Schüler haben ganz schön was zu schleppen.

Schüler haben ganz schön was zu schleppen.

Foto: Patrick Seeger

Krefeld. Über Gewicht spricht man nicht? Muss man aber, auch wenn es um das geht, was Schulkinder täglich auf ihrem Rücken ins Klassenzimmer schleppen. Ein Beispiel: Ryokan Yamakata geht in die sechste Klasse des Uerdinger Gymnasiums am Stadtpark, er ist zwölf Jahre alt, 1,34 Meter groß und wiegt 32 Kilo. Sein Schulranzen bringt zu Bestzeiten knapp zehn Kilo auf die Waage — ein Drittel seines eigenen Körpergewichts.

„Vor den Ferien war es besonders schlimm. Da war der Tornister montags immer ganz schwer, weil wir alle Hauptfächer hatten“, erzählt seine Mitschülerin Lynn Tillmann und lässt uns einen Blick in ihren Rucksack werfen: Deutsch-, Mathe-, Englischbücher und die dazugehörigen Hefte, ein dickes Federmäppchen voller Stifte, ein karierter und ein linierter Block, die Wasserflasche und zwei Butterbrotdosen, draußen dran hängt noch der Fahrradhelm — Schlüssel und Handy fallen da kaum noch ins Gewicht.

Klassenkamerad Tony Le schleppt dazu sogar noch jeden Dienstag einen Instrumenten-Koffer mit in die Schule, denn anschließend ist Saxophonunterricht.

Ihrer Mutter tue es leid, dass ihr Rucksack so schwer sei, sagt Franziska Dahmen, die heute auch ihre Querflöte eingepackt hat. Aber die Schließfächer, die die Schüler des Gymnasiums mieten können, um darin Bücher und anderes Arbeitsmaterial zu verstauen, nutzen sie selbst und die meisten ihrer Mitschüler aber kaum, erzählt die Elfjährige. „Die Bücher brauchen wir ja auch, um unsere Hausaufgaben zu machen.“ Statt in den Schließfächern landen sie am Ende eines Schultags also doch wieder im Rucksack auf dem Rücken. Oder im Fahrradkorb, wie bei Vivienne Freindl.

„Damit bin ich sogar einmal beim Fahren umgekippt, weil der Tornister so schwer war“, erzählt die Elfjährige. Geschichten, die Lisa Wagenaar, Englischlehrerin in der Klasse 6c, mit dem Kopf schütteln lassen. Die mietbaren Schließfächer seien ein Versuch, die Rucksäcke der Schüler zu erleichtern, ein anderer ein optimierter Stundenplan: „Wir versuchen bei der Erstellung der Stundenpläne auch darauf zu achten, dass die Schüler möglichst viele Doppelstunden haben, damit sie nicht so viel schleppen müssen.“ Für den Englischunterricht bestelle sie Bücher mit Soft-, statt mit Hardcover, „weil die leichter sind“.

Die Klage über zu schwere Schultornister sei alt, sagt Horst Obdenbusch, Schulleiter am Fabritianum. Er weiß aber auch: „Viele Schüler haben nicht nur das Material für fünf, sechs Fächer mit, sondern meist auch für andere Tage gleich mitgepackt. Aus Angst, etwas zu vergessen.“ Hinzu komme: Die coolen Rucksäcke hätten für sich schon ein hohes Eigengewicht. „Die sind noch leer, da haben die Schüler schon zweieinhalb Kilo auf dem Rücken“, glaubt Obdenbusch. Eine weitere seiner Beobachtung: „Die Kinder schleppen Kiloweise Wasser oder Saft mit sich herum.“

Um dem entgegenzuwirken, gibt es in der Mensa des Fabritianums einen Wasserspender, an dem Schüler für einen monatlichen Beitrag so viel Wasser zapfen können, wie sie wollen. Von den Schülern werde das Angebot sehr gut angenommen, betont Obdenbusch. Auch wenn „die Kinder immer noch viel zu viel mitbringen, das Maß an Gewicht ist sicher erträglich“.

Dr. Birgit Mellis ist Orthopädin und anderer Meinung. Nicht nur das Gewicht, auch die Passform der Rucksäcke sei ein Problem, betont die Ärztin. „Die Taschen sind am Rücken nicht stabil genug, hängen weit runter, manchmal bis fast über den Hintern, das Gewicht zieht die Kinder dann ins Hohlkreuz“, erklärt Mellis. Noch schlimmer: Stylische Schultertaschen, die besonders bei Mädchen beliebt seien, gehören zum Feindbild der Orthopädin. Denn: „Durch die einseitige Belastung wird die Wirbelsäule schief.“

Beschwerden wie Rückenschmerzen hätten aber die wenigsten Schüler — jedenfalls im Kindesalter. „Durch Sport können die meisten Kinder die Schlepperei gut ausgleichen“, weiß Mellis. Der Grund: „Bis zum 14. Lebensjahr ist die Wirbelsäule noch nicht voll entwickelt.“ Doch die Folgen zu schwerer Tornister können Jahre später schmerzhaft werden, warnt die Fachärztin: „Durch die Hohlkreuzhaltung werden die kleinen Wirbelgelenke hinten am Rücken belastet, das kann zu Fehlbildungen führen.“

Sie rät Eltern deshalb, beim Schulranzenkauf nicht nur auf Optik zu achten, sondern vor allem auf eine stabile Rückseite und einen festen Boden, denn so bleiben die Bücher an ihrem Platz und verrutschen nicht während des Tragens auf dem Rücken. Und noch einen Tipp für alle, die viel schleppen müssen, hat die Expertin: „Viel Bewegung ist wichtig — auch um die Brustwirbelsäule zu kräftigen.“

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