Kunst Ein Kleid als Auflehnung gegen die Gesellschaft

Krefeld. · Das Kaiser-Wilhelm-Museum präsentiert eine Ausstellung zur Befreiung der Frau aus ihrem Korsett und wie sich das in ihrer Kleidung ausdrückte.

Die Schau vereint Bestände der eigenen Sammlung mit Leihgaben aus dem In- und Ausland.

Die Schau vereint Bestände der eigenen Sammlung mit Leihgaben aus dem In- und Ausland.

Foto: Lothar Strücken

Im August 1900 fand in Krefeld eine Ausstellung statt, die ganz am Puls der damaligen Zeit war. Es war die erste „Sonder-Ausstellung moderner Damenkostüme nach Künstler-Entwürfen“ und in Deutschland die erste Präsentation sogenannter „Reformkleider“. Die Anregung zu der Ausstellung kam von Friedrich Deneken, dem Gründungsdirektor des Kaiser-Wilhelm-Museums. In der neuen Ausstellung „Auf Freiheit zugeschnitten. Das Künstlerkleid um 1900“, die jetzt eröffnet wird, wird das Thema erneut aufgegriffen und erstmals mit seinen komplexen Wechselbeziehungen zwischen Kunst, Mode und Fotografie beleuchtet. „Es ist eine ganz besondere, feine Ausstellung, die eng mit der Geschichte des Hauses verknüpft ist“, sagt Direktorin Katia Baudin.

Doch neben vielen Jugendstil-Exponaten aus der eigenen Sammlung sind auch einige hochkarätige internationale Leihgaben zu sehen. Die beiden Kuratorinnen Magdalena Holzhey und Ina Ewers-Schultz haben in einer opulenten Schau viele Facetten des Themas aufgedeckt. „Es ist keine Modeausstellung“, betont Holzhey. Vielmehr geht es um das Kleid als kulturelles Phänomen. Um 1900 rückte im Rahmen von Jugendstil und Reformbewegung auch die weibliche Mode in den Fokus von Kunstschaffenden. Ziel war eine Befreiung der Frauen vom Korsett, das nicht unbequem, sondern nachweislich auch den weiblichen Körper schädigte.

Das Reformkleid gewährte dagegen mit seinen weichen, fließenden Formen den Frauen endlich Bewegungsfreiheit. Künstler wie Henry van de Velde, dessen Entwürfe auch in der Krefelder Schau von 1900 zu sehen waren, setzten mit dieser Bewegung bisherige Hierarchien außer Kraft. „Das Kleid wurde zum Kunstwerk, die Grenzen zwischen freier und angewandter Kunst wurden aufgehoben“, sagt Ewers-Schultz.

Die Frau als unbewegliches Dekorationsobjekt

Neben ästhetischen Kriterien spielte der befreiende Charakter eine wesentliche Rolle. Das Künstlerkleid war eine Auflehnung gegen das herrschende Gesellschaftsbild, das die Frauen zum unbeweglichen Dekorationsobjekt und zur Untätigkeit verdammte. Der Titel der Ausstellung „Auf Freiheit zugeschnitten“ weist deutlich daraufhin. Er ist dem gleichnamigen Buch von Margret Greiner entnommen, dass diese der Wiener Modeschöpferin Emilie Flöge gewidmet hat. Die langjährige Gefährtin von Gustav Klimt führte mit ihren Schwestern einen eleganten Modesalon und war eine der ersten Unternehmerinnen ihrer Zeit. Im Thorn-Prikker-Saal kann man anhand von historischen Fotografien und der Kopie eines Kleides, das Flöge getragen hat, die Atmosphäre des Salons, der komplett von der Wiener Werkstätte gestaltet wurde, nachvollziehen.

Diese 1903 von Künstlern gegründete Produktionsstätte besaß eine eigene Modeabteilung. In der Sammlung der Kunstmuseen befindet sich eine Reihe von Objekten der Wiener Werkstätte, die sich mit kostbaren Leihgaben, wie einem von Josef Hoffmann entworfenen schwarzweißen Abendkleid, sehr gut in den Kontext einfügen. Ein weiteres interessantes Kapitel der Ausstellung ist die Beziehung des Künstlerkleides zu Theater und Tanz. Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelten sich Formen von modernem Ausdruckstanz, der auch die Mode entscheidend beeinflusste. Am Beispiel der Tänzerinnen Isadora Duncan und Loie Fuller, von der ein Originalfilm von 1905 gezeigt wird, wird dieser Bezug lebendig.

Auch in der Modestadt Paris fand ein Umdenken statt. Modeschöpfer wie Paul Poiret griffen den neuen Trend auf. Ein wunderschöner Mantel des Couturiers, ebenfalls ein Original, ist ein besonderer Blickfang. Zugleich zeigt dieses Beispiel, dass das Künstlerkleid zunächst nur einer gehobenen Schicht vorbehalten war und wie zahlreiche Fotografien belegen, überwiegend im privaten Bereich getragen wurde. Von der damaligen Presse als „Reformsäcke“ verrissen, versuchte man die Kleider aber auch an breitere Schichten zu vermitteln. Eine gute Plattform waren die großen Warenhäuser, die sich Ende des 19. Jahrhunderts in den Großstädten verbreiteten. Dort gab es eigene „Künstlerkleidabteilungen“, bei denen die Massenproduktion Zugeständnisse erforderte.

Aus der Fülle von Informationen und Objekten, die die beiden Kuratorinnen zusammengetragen haben, ist eine wunderbar choreografierte Schau geworden, die viel fürs Auge bietet. Das beginnt im großen Oberlichtsaal, der mit einer nachgedruckten Tapete von William Morris ausgestattet ist, bis hin zum letzten Raum, in dem zwei Originalkostüme, eine Herrenweste und ein Kleid zu sehen sind. Sonia Delaunay hat sie für sich und ihren Mann, den Maler Robert Delaunay, angefertigt. Sie haben sie auf einem Künstlerfest 1913 in Paris getragen. Ein Jahr später brach der erste Weltkrieg aus, der nicht nur im Bereich der Mode eine Zäsur setzte. Auch die Ausstellung, für deren Besuch man sich ausreichend Zeit nehmen sollte, endet an diesem Punkt.

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