Vagedes-Haus: Wo Kinder im Denkmal aufwachsen

Die Gebrüder Herberz ließen 1830 am Marktplatz ein Gebäude erbauen. Lydia Bastian erbte es vor 36 Jahren.

Krefeld-Uerdingen. Die Apotheke am Uerdinger Markt ist alleine gesehen schon sehenswert, doch der Blick in die obere Etage lässt einen ins Schwärmen geraten. Im Hinterraum deutet ein altes Schild "privat" auf Verborgenes hin. Der Blick geht entlang der schweren Mahagoni-Holztreppe zur Stuckdecke hoch. Gegeizt haben die Bauherren des denkmalgeschützten Gebäudes nicht.

Die Herberz-Brüder ließen um 1830 das dreiteilige Haus im klassizistischen Stil vom Architekten Adolph von Vagedes erbauen. Die Kaufmanns-Gebrüder Balthasar, Jakob und Josef Herberz teilten den Komplex später untereinander auf.

Sehenswert sind vor allem die klassizistisch stuckierten Treppenhäuser sowie die ehemaligen Familiensalons im ersten Obergeschoss. Der Salon im mittleren Haus ist von Familie Bastian erhalten worden. Original-Möbel aus dem 19. Jahrhundert, der alte Steinway-Flügel und schwere antike Teppiche russischer und persischer Herkunft sowie Eichenparkett entführen den Besucher in längst vergangene Zeiten.

Zeiten in denen Bedienstete sich um Kinder, Küche und Kammer kümmerten. Zeiten, in denen nach ihnen geklingelt wurde. "Im Dienstmädchen-Zimmer fiel dann eine Klappe herab, auf welcher der Raum stand, in dem die Herrschaften sich befinden", erzählt die Hausherrin Lydia Bastian. Ihren riesengroßen Lüster aus handgeschliffenem Kristall, der im Salon hängt, putzt sie heute lieber selbst. "Die Kristalle werden nicht mehr hergestellt, es wäre ärgerlich, wenn einer herunterfällt", sagt Bastian.

Das Lieblingsstück der ehemaligen Turnierreiterin ist ein 300 Jahre alter und zentnerschwerer holländischer Stollenschrank aus Mahagoni: "Das Besondere an diesen Schränken ist, dass sie aus einem Stamm hergestellt sind", sagt Bastian. Oft wurde sie schon angesprochen, ob sie das antike Stück ihres Großvaters mütterlicherseits, Heinrich Kreifelts, nicht verkaufe wolle. Das Stück sei aber von unschätzbarem Wert.

1974 erbte Bastian das mehrstöckige Haus, zog ein Jahr später ein und ersteigerte nach und nach weitere Antiquitäten, wie den Götterboten oder die zwei Meter hohe Standuhr aus Meißner Porzellan, um den denkmalgeschützten Salon und das Esszimmer sowie das Herrenzimmer (heute immer noch Büro) stilecht zu dekorieren.

Schwere Seiden- und Velourstapeten sowie Delfter-Gefäße aus der Apotheke zieren Diele sowie Herren- und Esszimmer. Im Salon sind die italienischen Malereien auf feinster Tapete immer noch erhalten. Schimmernde Paradiesvögel pranken neben Symbolen für die Künste wie Theater, Musik und Astronomie. 1966, als Lydia Bastian 15 Jahre alt war, wurden die Malereien radiert, um sie vom Staub zu befreien. "Aber nochmal würde die Farbe das nicht überstehen. Wir lassen es bis dahin in Ehre ergrauen." In diesem Raum dürfen keine Vorhänge angebracht werden, wegen der Denkmalbestimmungen.

Gäste hätten immer gefragt, ob denn die beiden Kinder Bastians nichts beim Spielen zerstören. "Für die ist es normal, in einem Denkmal zu wohnen", war ihre Antwort.

Lydia Bastian ist froh, dass ihr Sohn Roman das Denkmal erhalten wird. Die Dame des Hauses will irgendwann nach Holland ziehen.

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