Die schnellste Frau Krefelds

Vor 60 Jahren bezwang die heute 85-Jährige alle deutschen Olympiakandidaten im Hürdenlauf. Bei den Spielen war sie dann aber doch nicht dabei. Sie hätte für die Teilnahme zahlen müssen.

Krefeld-Bockum. Sie war bekannt für ihren Geister-Stil. Nicht, dass es etwa bei Lieselotte Püll (heute Paggen-Püll) spukte oder Gespenster ihr Unwesen trieben. Ihr Laufstil ähnelte dem des Olympiamedaillengewinners Hans Geister. Mit ihren langen Beinen und dem optimalen Laufstil war Lilo („keiner nennt mich Lieselotte“) Püll die schnellste Frau Krefelds.

„Mit dem Hans habe ich immer trainiert, wir waren beide beim CSV Marathon 10 Krefeld“, erzählt die alte Dame, die im März ihren 85. Geburtstag feierte. Bei den deutschen Meisterschaften 1950 in Stuttgart läuft sie allen davon. „Bereits im Vorlauf lief ich europäische Nachkriegsbestzeit“, erzählt sie. 26,2 Sekunden braucht sie für die 200 Meter. Im Endlauf wird sie mit 26,4 Sekunden dann „nur“ Vierte. „Gerade im Ziel wurde ich abgeschnappt“, erinnert sie sich und schüttelt ungläubig den Kopf.

Zurück in Krefeld gibt es am Bahnhof einen großen Empfang für die schnellste Frau Krefelds, die fortan von Erfolg zu Erfolg eilt. Zwei Jahre später bezwingt Lilo Püll in Ostberlin im Hürdenzweikampf die gesamte Olympia-Kernmannschaft. Aber zu den olympischen Sommerspielen ins finnische Helsinki konnte sie nicht mitfahren. „Mit Sport war damals kein Geld zu verdienen, im Gegenteil, man musste für die Teilnahme zahlen.“

Die Nationalmannschaftssprinterin erteilt den Olympischen Spielen eine Absage und besinnt sich notgedrungen auf ihr zweites Talent: Malen und Gestalten. Bereits im Alter von 14 Jahren besuchte sie als Jüngste die Meisterschule und machte nach dem Krieg ihren Abschluss als Textil-Design-Ingenieur. In der Firma Dömkes leitet Lilo Püll bald die Musterabteilung und stellt Schablonen für den Stoffdruck her. Mitte der 50er Jahre macht sie sich mit einem eigenen Atelier in Bockum selbstständig und verkauft erfolgreich Stoffentwürfe für die Textilindustrie.

„Nach dem Krieg waren alle hungrig nach bunten Farben“, daher sind ihre Kleider- und Wäschestoffe nicht nur modisch, sondern auch besonders farbenfroh. Lilo Püll eröffnet die Bockumer Kunstvitrine, malt und verkauft Ölbilder und gibt Kunstunterricht. 1968 heiratet sie Willi Paggen. Ihr sportlicher Mentor Peter Vogel ist ihr Trauzeuge in der Waldkirche in Forstwald. Und wieder ist sie eine Vorreiterin.

Als erste Frau in Krefeld nimmt sie einen Doppelnamen an, aus Püll wird Paggen-Püll. 1969 wird Tochter Lydia geboren. Gemeinsam segelt das Ehepaar gerne auf dem Rhein, Leichtathletik ist kein Thema mehr. Aber Lilo Paggen-Püll bleibt auch heute im hohen Alter in Bewegung.

„Ich mache jeden Morgen Gymnastik und fahre auf dem Heimtrainer Rad“, verrät sie ihr Fitness-Geheimnis. Vor zwei Jahren hatte sie einen Unfall, fiel nach einem Fehltritt die Kellertreppe hinunter. Ihr starker Wille half ihr, wieder auf die Beine zu kommen. „Nur den rechten Arm kann ich noch nicht richtig bewegen“, bedauert Lilo Paggen-Püll. „Aber das wird schon.“

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