Bayer ehrt Bibliothekar

Pensionär Joachim Stratmann versorgt die Patienten im Josefshospital mit Lesestoff. Dafür wurde der Ehrenamtler jetzt ausgezeichnet.

Krefeld. Geschichten wie die von dem Hundertjährigen, der keine Lust hat, seinen Geburtstag zu feiern und stattdessen klammheimlich aus dem Fenster klettert, um eine abenteuerliche Reise zu unternehmen, sind beliebt. „Aber so was“, erklärt Joachim Stratmann, hält einen dicken Schinken des Autors Johannes Mario Simmel in die Höhe und runzelt selbstkritisch die Stirn, „so was will eigentlich keiner lesen.“

Stratmann versorgt die Patienten im Josefshospital in Uerdingen mit Büchern. Der ehemalige Technische Angestellte bei Bayer hatte die Aufgabe vor rund anderthalb Jahren von einer Helferin übernommen, die zu alt für das Ehrenamt geworden war. Seither packt er in der Regel einmal in der Woche einen Teil des Bestandes auf einen Rollwagen und macht sich auf den Weg zu den Krankenzimmern. Will ein Patient eines der Bücher ausleihen, füllt Stratmann für ihn eine grüne Karteikarte aus und lässt ihm den gewünschten Lesestoff da.

Für sein Engagement hat die Bayer-Sozialstiftung den 67-Jährigen jetzt ausgezeichnet. Gleichzeitig unterstützt die Stiftung Stratmanns Projekt mit 4500 Euro. Der Pensionär kann das Geld gut für die Anschaffung neuer Bücher gebrauchen. Denn Stratmann weiß, dass Menschen, denen es nicht gut geht, nicht unbedingt der Sinn nach schwermütigem, in buchstäblichem Sinn vielseitigem oder schwer zu entzifferbarem Lesestoff steht. „Wer sehr krank ist, hat keinen Bock, schwierige Bücher zu lesen“, erklärt er sehr direkt. „Die Bücher sollten deshalb schmal und die Schrift groß sein.“ Bei dem Lesestoff, den er vorgefunden habe, als er das Ehrenamt antrat, sei das nicht immer der Fall gewesen. Der ehemalige Betriebsrat, der im St. Josefshospital meist nur der „Bücherwurm“ genannt wird, hat den Bestand deshalb kontinuierlich ausgebaut und extra einen kleinen Raum für die Ausleihe eingerichtet. Die Rauchmelder in der „Bibliothek“ hat er selbst angebracht.

Von dem Geld der Bayer-Stiftung möchte er nun nicht nur Krankenhaus-kompatible Bücher kaufen, sonder auch Hörbücher anschaffen. „Und Abspielgeräte, die einfach zu bedienen sind und noch richtige Kopfhörer haben, also nicht solche, die man in die Ohren steckt“, erklärt Stratmann voller Tatendrang. Wer dem 67-Jährigen zuhört, merkt gleich, dass er Freude an seiner Tätigkeit hat. „Wenn mir das keinen Spaß machen würde, könnte ich das auch gar nicht machen“, sagt er. „Ruhestand — das kenne ich nicht.“

Seit er im Josefshospital unterwegs sei, habe er viele positive Erfahrungen gesammelt: „Ein Patient, der viele Chemotherapien bekam, hat im Laufe der Zeit alle unserer Karl-May-Geschichten gelesen. Als er fertig war, begann er wieder von vorne. Die Romane haben ihn an seine Jugend erinnert. Das hat mich sehr bewegt.“

Stratmann hat Menschen, die ihm wichtig waren, früh durch Tod verloren. Darum habe er immer vorgehabt, nach seiner Pensionierung im Hospiz zu helfen, erzählt er. Dass er letztlich im Josefshospital gelandet ist, bereut er nicht. Sicher mache ihn das, was er im Krankenhaus sehe, oft auch ein wenig nachdenklich. Gehe ihm das Erlebte zu nahe, spreche er mit seiner Frau darüber. Das helfe.

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